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DIE POWELL-DOKTRIN SETZT AUF RÜCKZUGSWEGE AUS SCHURKENSTAATENFinger weg von den Taliban

Die Autorität des US-Außenministers stammt aus der Zeit, als Colin Powell noch nicht als höchster Diplomat seines Landes, sondern als höchster Militär fungierte. Auf dem militärischen Erfolg im von Powell organisierten Golfkrieg beruht bis heute seine Popularität in der US-Bevölkerung und seine Autorität innerhalb der Regierung. Aus der Zeit des Golfkriegs stammt auch seine Bedingung für künftige Kriege der USA, bis heute als „Powell-Doktrin“ bekannt: Danach müssen die USA ein klares Kriegsziel haben, ihre Streitkräfte müssen mit weit überlegener Macht ausgestattet sein, und die Möglichkeit für einen Rückzug muss offen stehen. So wurde dieser Krieg beendet, ohne in Bagdad einzumarschieren.

Jetzt wird in Washington ein ähnlicher Konflikt ausgetragen. Verteidigungsminister Donald Rumsfield und sein Stellvertreter Paul Wolfowitz lassen verlautbaren, dass sie jetzt auch militärisch gegen den Irak vorgehen wollen – Powell hält dagegen. Sicherheitsberaterin Condoleeca Rice lässt wissen, sie wolle in Afghanistan nicht nur Bin Laden suchen, sondern auch das Taliban-Regime – und Powell hält dagegen.

Natürlich muss sich der Chefdiplomat sensibler äußern als andere Regierungsmitglieder. Doch diese wohl bewusst nach außen dargestellten Meinungsverschiedenheiten spiegeln auch ein Grundproblem der US-Militärstrategie dar – und das nicht erst seit dem 11. September. Einerseits finden die USA nur dann Verbündete, wenn sie klare Ziele für militärische Interventionen benennen können. Andererseits brauchen sie für die längerfristige innen- wie außenpolitische Legitimation ihrer Militärpolitik ein Bedrohungsszenario, das über solche eng gesetzten Ziele hinausgeht.

Dazu hat aber auch Powell beigetragen. Er ließ als Stabschef nach dem Ende des Kalten Krieges nach neuen Bedrohungen fahnden. Am Ende stand die Doktrin von den bedrohlichen „Schurkenstaaten“. Glaubwürdig ist diese Doktrin aber nur dann, wenn es zumindest einige dieser „Schurken“ gibt – nicht nur als versteckte Terroristen, sondern auch als Staaten. Würde die USA Irak und Afghanistan besetzen, müsste sie sich dort mit den internen Spannungen dieser Länder auseinander setzen – und wie in Somalia oder gar Vietnam katastrophal scheitern. Erhalten sich die USA aber ein paar „Schurken“ wie das Regime des Saddam Hussein nach dem Golfkrieg, so gibt ihr das über Jahre hinaus die Legitimation zu Waffenlieferungen an Verbündete und zur Stationierung von Truppen in der Region. Powell hat gute Chancen, sich auch diesmal durchzusetzen. ERIC CHAUVISTRÉ

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