DIE ÖTV MUSS STREIKEN – WENN DIE ARBEITGEBER NICHT SCHNELL HELFEN: Ein Streik, den keiner merken soll
Die Gewerkschaft ÖTV steckt in der Klemme, vielleicht so tief wie noch nie zuvor. Der geplante Streik soll die Bürger möglichst wenig ärgern, andererseits jedoch genug Druck aufbauen, sodass die Arbeitgeber am Ende einlenken. Das mit dem Einlenken hat aber schon beim langen Streik 1992 nicht geklappt. Damals erreichte die ÖTV das gewünschte Ergebnis jedenfalls nicht. Und die Chancen, dass es diesmal klappt, stehen keineswgs besser. Nicht, dass die öffentlichen Kassen noch knapper wären als vor acht Jahren, nein, es ist vor allem die öffentliche Meinung, die sich als der größte Feind von ÖTV-Chef Herbert Mai erweisen könnte.
Mai scheint das zu ahnen. Der Streik soll dem Bürger so wenig wehtun wie möglich, hat er schon vor Tagen angekündigt. Man wolle eher die Arbeitgeber denn die Bürger treffen. Besonders in den Verwaltungen, also an Schreibtischen und vor Computern, soll gestreikt werden. Mai weiß, dass volle Mülltonnen und geschlossene Kitas nur die Öffentlichkeit gegen die ÖTV aufbringen würden. Ob aber leere Schreibtische in den Behörden und noch längere Bearbeitungszeiten tatsächlich Druck aufbauen, die geforderten Zehntelprozentpunkte beim Lohn nachzulegen, ist mehr als fraglich. Vielleicht geht die Sache auch nach hinten los: Tausende von Verwaltungsangestellten legen die Arbeit nieder– und keiner merkt etwas davon. Die Bearbeitungszeiten bei den Ämtern sind schließlich schon heute nicht gerade kurz.
Dennoch ist der Streik nicht lustig. Die Gefahr besteht, dass der öffentliche Dienst noch mehr in Verruf gerät. Zur Erinnerung: In kaum einer anderen Branche gibt es so viele vergleichsweise gut bezahlte Teilzeitjobs und tarifliche Kinderzuschläge. In kaum einer Branche haben allein erziehende Mütter so gute Bedingungen, Kinder und Job miteinander zu verbinden. Und nirgendwo ist der Kündigungsschutz so hoch wie im öffentlichen Dienst. Dieser geschützte Raum wird durch die Privatisierungen und den Stellenabbau ohnehin nach und nach verkleinert – und jetzt durch den Streik möglicherweise auch öffentlich mehr und mehr als privilegiert gegeißelt.
Sicher schreiten Privatisierung und Stellenabbau unaufhaltsam voran, unabhängig von ein paar Zehntelprozentpunkten mehr oder weniger in der Lohntüte. Aber es macht einen Unterschied, ob die ÖTV am Ende angeschlagen dasteht oder nicht. Gut möglich, dass letztlich Innenminister Otto Schily (SPD) die Gewerkschaft retten muss: Indem er ein neues Lohnangebot findet, das irgendwie nach mehr aussieht als das letzte. Ein unschönes Spiel. Für alle Seiten. BARBARA DRIBBUSCH
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