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DIE LOJA DSCHIRGA HAT AFGHANISTANS DEMOKRATEN NICHT GESTÄRKTEnttäuschte Hoffnungen

Die Loja Dschirga war eine kräfte- und nervenzehrende Veranstaltung – und eine große Enttäuschung für viele Afghanen. Selbst die Präsidentschaftswahl und die Bestätigung der Ministerliste durch die große Ratsversammlung waren alles andere als hoffnungsvolle Zeichen für eine künftige demokratische Entwicklung des Landes.

Der auf Druck der USA zum Präsidenten gewählte Interimsregierungschef Hamid Karsai – viele Afghanen hatten auf den Exkönig Sahir Schah gehofft – ließ erst auf erneuten amerikanischen Druck hin die wichtigsten Mitglieder seines Kabinetts von der Loja Dschirga bestätigen, obwohl dies im Bonner Afghanistan-Abkommen explizit vorgesehen war. Die Bestätigung der Minister per Akklamation war ein Witz und widersprach simpelsten demokratischen Grundregeln. Karsai selbst – und nicht etwa die Versammlungsleitung – bat die Delegierten während seiner Rede, mal kurz die Hand zu heben. Und noch bevor genau zu sehen war, wie viele es waren, sprach Karsai schon weiter. Ansonsten strafte Karsai die Delegierten mit Missachtung. So wurde die Versammlung in den letzten drei Tagen mehrfach unterbrochen, bis Karsai wieder mit einer neuen Rede vor die Delegierten trat. Die Loja Dschirga mit ihrer obrigkeitshörigen Leitung wurde von Karsai als willfähriges Instrument missbraucht – und ließ sich dies fast widerspruchslos gefallen.

Dabei hatten nicht wenige Afghanen für diese Loja Dschirga mutig gegen Warlords, Regionalfürsten und Islamisten kandidiert und sich mit entsprechenden Statements exponiert. Doch das Vertrauen auf den Rückhalt der Vereinten Nationen und der USA wurde meist enttäuscht. Deren Vertreter kungelten im Sinne vermeintlicher Realpolitik vielmehr selbst mit den Mächtigen und ließen die potenziellen Träger eines demokratischen Aufbruchs allein. Jetzt, wenn die internationale Aufmerksamkeit wieder nachlässt, droht den Mutigen Verfolgung und Vergeltung. Nur wenn Afghanistans demokratische Kräfte sich als Konsequenz aus dieser missratenen Loja Dschirga künftig besser organisieren und mehr internationale Unterstützung erhalten, besteht wieder Hoffnung auf ein demokratisches Afghanistan. SVEN HANSEN

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