DIE LEHRER SOLLTEN WENIGER ZU HAUSE UND MEHR IN DER SCHULE ARBEITEN: Weniger Freiheit, mehr Anerkennung
Es ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Einerseits werden Deutschlands Pädagogen nicht müde, über zunehmende Arbeitsbelastung und mangelnde Anerkennung zu klagen. Andererseits haben Bildungsforscher im Auftrag der OECD jetzt festgestellt: Deutsche Lehrer unterrichten im Durchschnitt sehr viel weniger als ihre Kollegen in den meisten anderen Ländern, und sie bekommen dafür auch noch mehr Geld.
Beide Seiten haben völlig Recht, und der Grund für die unterschiedliche Wahrnehmung ist das antiquierte Arbeitszeitmodell, das an Deutschlands Schulen noch immer praktiziert wird. Wie im Kaiserreich, als der „Gymnasialprofessor“ seinem universitären Namensvetter nacheiferte, wird die Leistung der Pädagogen allein an der Zahl der Unterrichtsstunden gemessen. Vor- und Nachbereitung finden in der Einsamkeit und Freiheit des heimischen Arbeitszimmers statt.
Das ist ungerecht, weil beispielsweise ein Deutschlehrer viel länger mit der Lektüre von Aufsätzen beschäftigt ist als ein Mathematiklehrer mit dem Korrigieren simpler Gleichungen. Es ist unprofessionell, weil der Austausch zwischen den Kollegen zu kurz kommt. Und es ist uneffizient, weil eine gemeinsame Vorbereitung des Unterrichts viel wertvolle Zeit sparen würde.
Wenn die Lehrer acht Stunden täglich in der Schule Präsenz zeigten, müssten sie sich nicht mehr mit lästigen Debatten über ihre Arbeitszeit herumschlagen. Eingerechnet wären dabei nicht nur die Zeiten für die Vor- und Nachbereitung im Lehrerzimmer, sondern auch die Betreuung der Schüler am Nachmittag.
Die Abkehr vom antiquierten Modell der deutschen Halbtagsschule empfahlen die Bildungsforscher bereits vor einem Jahr als Rezept gegen die miserablen Leistungen deutscher Schüler bei der Pisa-Studie. Seither rätseln die Bildungspolitiker, wie sich die Betreuung am Nachmittag wohl finanzieren ließe. Die neue Studie zeigt: Die Lehrer könnten diese Aufgabe sehr wohl übernehmen. Es kommt nur darauf an, wie man sie einsetzt.
RALPH BOLLMANN
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen