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DIE KLEINE MEDIENPRAXIS — FRAGEN SIE FRAU DR. MONIKA

40 Jahre 'Bild‘ — wenn das kein Grund zum Abschied ist? 40 Jahre lang haben sich die Medienarbeiter im Axel Springer Verlag für die Unterdrückten die Finger wundgeschrieben, für rund 14.600 Zeitungsausgaben Schlagzeilen im Dienste der deutschen Vereinigung gedichtet („1.391 Kilometer Stacheldraht durchs Herz“), ein Ohr für die kleinen Nöte der Deutschen gehabt („Angst vor Frühjahrsputz: Hausfrau erschlug sich mit Hammer!“) und aktive Lebenshilfe praktiziert („Darf ich einen Einbrecher erschießen?“). Und wie danken es die vom Stacheldraht Befreiten? Sie kaufen 'Super‘! In der Jubiläumsausgabe vom Mittwoch werden die guten alten Zeiten noch einmal heraufbeschworen. Damals, am 24.Juni 1952, als alles anfing mit der vier Seiten starken Zehn-Pfennig-Nummer, Winston Churchill ganz groß und die wenigen abgelichteten Damen noch textilverhüllt. Dann die wunderbaren Wirtschaftswunderjahre, der schrecklich kalte Krieg, die Mondlandung („Der Mond ist jetzt ein Ami“) und in den Siebzigern „Terror in Deutschland“. Damals war die Welt noch in Ordnung, der Feind jenseits des Eisernen Vorhangs ausgemacht. Doch jetzt, nach vier Jahrzehnten, ist die Luft raus, die Auflagen sinken. Axel Cäsar Springers großer Traum vom „einig Vaterland“ wurde vor drei Jahren rauhe Wirklichkeit. Noch einmal konnte man mit fetten schwarz-rot-goldenen Balken Verkaufsrekorde brechen. Doch mit dem rührseligen Vereinigungsakt hat sich die 'Bild‘-Zeitung, dieses autistische Kind der alten Bundesrepublik, selbst überflüssig gemacht. Die Mauer, an der es sich 37 Jahr den Kopf einrannte, ist weg. „Deutschland, wie hast du dich verändert...“, stöhnt 'Bild‘ auf dem Jubiläumstitel. Kein Wort über die Zukunft, keine neue Kampfansage, Wen sollten Springers Erben auch bekämpfen? Die politischen Gegner sind abgetreten, aus finsteren Kommunisten sind strahlende Demokraten geworden, und für den senilen SED-Rentner in Moskau interessiert sich auch keiner mehr so richtig. Selbst zuverlässige Hetzobjekte wie die Terroristen drohten unlängst öffentlich mit Gewaltverzicht. Woher soll man da noch Schlagzeilen wie diese zaubern: „Terroristin Brustkrebs wegen Pistole im BH?“ Der Untergang ist nahe. In Wahrheit ist die Jubiläums-'Bild‘ eine Beerdigungsnummer. Zwar hat man sich im Hamburger Verlagshaus am Ende nicht getraut, die 40 bunten Seiten mit einem dicken Trauerrand einzufassen — wer kauft schon gerne einen Sarg —, aber das Totengeläut ist unüberhörbar. 'Bild‘-Kapitän Hermann Tiedje, der das sinkende Schiff nicht retten konnte, wurde mit 2,5 Millionen Schweigegeld in den Vorruhestand geschickt. Und seine Nachfolger haben bei der Schlußbilanz manch erinnerungsträchtige Sensation einfach vergessen. Vergeblich sucht man im Jubelheft nach Hinweisen auf den „linksradikalen Angriff auf die Pressefreiheit“, damals, als in Berlin die 'Bild‘-Lieferbusse brannten. Wo ist das Porträt des wohl bekanntesten 'Bild‘-Mitarbeiters Günter Wallraff alias Hans Esser? Wo ist die Geschichte vom „Ostzonenbrühwürfel“, der Krebs verursacht, und wo der umgefallene Kohl auf der Titelseite, worüber 1990 der ganze Bundestag lachte?

Ach ja, mit Tränen in den Augen sieht man eben schlecht. In diesem Sinne, mein tiefstes Beileid.

Herzlichst Ihre

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