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DIE Halle 424 im Oberhafen ist ein Ort der Möglichkeiten. Ebenso wie die Kantine des SchauspielhausesWo noch was geht

AM RAND

Klaus Irler

Früher Samstagabend, der Hauptbahnhof brummt. Bayern spielt gegen Dortmund, in der Gastronomie in der Passage hängen Menschentrauben vor dem Fernseher. Raus aus dem Bahnhof, links runter Richtung Deichtorhallen. Vor der Markthalle stehen langhaarige Hünen mit bestickten Jeansjacken. Kommen direkt aus den frühen 80ern und besuchen im März 2016 ein Metalfestival namens „Hell over Hammaburg“.

An den Deichtorhallen vorbei über die kleine Brücke zu dem Gebiet, das Oberhafen heißt, obwohl nirgends ein Schiff zu sehen ist. Der Oberhafen ist eine Ansammlung von Lagerhallen, Kopfsteinpflaster und Gleisen. Kein Mensch auf der Straße, alles dunkel und nasskalt. Am Ende der linken Lagerhallen-Zeile brennt ein blaues Licht. Da wollen wir hin.

Halle 424, eine umgenutzte Lagerhalle, ist eine Randerscheinung der Innenstadt und an diesem Abend der Ort für eine Randerscheinung des Kulturlebens: Jazz. Heute gibt es ein Konzert des Trios Long Winding Road im Rahmen der Reihe Jazztracks, die einmal im Monat in der Halle 424 stattfindet.

Der Gitarrist Kalle Kalima kommt aus Helsinki, lebt in Berlin und trägt ein Cowboy-Hemd, weil es ihm darum geht, Blues- und Country-Stücke zu Jazz zu machen. Er blickt in eine Halle mit vielen indirekten Lichtquellen: Kerzen hier, Wandlampen da, ein Kronleuchter in Form eines Wagenrades dort. Eine große Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt Menschen in Badeklamotten. An den Wänden hängen ein Hirschgeweih, ein Engel und abstrakt künstlerisches Baumgeäst, unter anderem.

Ein riesiges Regal teilt den Raum. Darin befinden sich Hafenpoller, Kesselpauken, Projektoren. Die Halle ist wie ein öffentlich gemachter Keller, der wie alle Keller davon erzählt, was die Besitzer noch vorhaben, zumindest theoretisch, wenn mal Zeit ist. Das Kellerhafte schafft ein Ambiente der Möglichkeiten: Der Projektor könnte zum Einsatz kommen, der Hafenpoller könnte ein Hocker werden. Zum Wegwerfen ist er jedenfalls zu schade.

Kalle Kalima, der Bassist Greg Cohen und der Schlagzeuger Max Andrzejewski schauen, was möglich ist, wenn sie Johnny-Cash-Songs als Grundlage für Improvisationen nehmen. Es ist sehr viel möglich, aber manchmal hilft das nichts: Die drei kriegen die Tür zu etwas Bewegendem nicht auf, aber niemand kann ihnen vorwerfen, dass sie es nicht versucht hätten.

Auf dem Rückweg suchen wir das Mögliche am Wegesrand. Eine Bar ist beleuchtet, aber leer, und als wir ratlos davor stehen, scheucht uns ein unfreundlicher Kellner aus der Oberhafenkantine gegenüber weg. Im Gebäude des Kunstvereins gibt es einen Italiener, bei dem ein Aushang „Geschlossene Gesellschaft“ verkündet. In den Markthallen läuft das Metalfestival noch zwei Stunden, aber es gibt kein Tagesticket, nur ein Festivalticket für 65 Euro.

Erst in der Kantine des Schauspielhauses ist wieder Platz: Junge Schauspieler trinken und rauchen wie die Weltmeister und lieben das Theater sehr, obwohl sie nicht wissen, ob das Theater sie auch liebt. Sie hoffen auf Möglichkeiten. Und wir kriegen noch ein Bier.

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