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DIE GRENZEN DER EU MÜSSEN DÜRCHLÄSSIGER WERDENOase Europa

Wie viele Menschen müssen eigentlich noch in Lastwagen und auf Schiffen sterben, bevor Europas Politiker endlich merken, dass es bei Einwanderungspolitik um Menschen geht? Auch wenn die Europäer kontinentweit den Tod von 58 Chinesen in einem Kühllastwagen bedauern – das ist leider noch kein Hinweis dafür, dass dies der letzte Massentod illegaler Einwanderer auf dem reichsten Kontinent der Erde ist. Der tragische Fall offenbart vielmehr die Bornierheit und Ahnungslosigkeit derer, die in der Migrationspolitik die Entscheidungen treffen.

Seit 1993 sind nach neuesten Berechnungen von Migrantenorganisationen über 2.000 Menschen „an den Folgen europäischer Flüchtlingspolitik“ gestorben. Aber kaum je ist die Aufregung über die jeweiligen Einzelfälle hinaus politisch wirksam geworden. Dunkelhäutige Ertrunkene im Mittelmeer eignen sich eben nicht so gut als abstoßendes Mahnmal einer verfehlten Politik wie ein Leichenhaufen im Kühlcontainer.

Seit über zehn Jahren wird in einem europäischen Staat nach dem anderen das Flüchtlings- und Migrationsrecht verschärft. Seit über zehn Jahren rufen diese Verschärfungen bei den Betroffenen eine stereotype Kritik an der „Festung Europa“ hervor. Dass das Publikum diese Kritik schon ebenso lange müde beiseite wischt, kann nicht verbergen, dass Europa mit all seinen Gesetzesänderungen keine Antwort auf eine der großen Fragen der Gegenwart findet: nämlich den Umgang mit Menschen und ihrem Streben nach Selbstverwirklichung in einer globalisierten Welt, in der ja wohl nicht nur für Kapital und Ideen die Grenzen des Nationalstaats durchlässiger werden sollten.

Sechs Monate hat die EU nach ihrem eigenen Zeitplan noch, um die gefürchtete „Harmonisierung“ des Asyl- und Migrationsrechts zu vollenden. Mag auch Studie um Studie, von Demographen bis hin zu OECD und UNO, massive Einwanderung zur Bedingung für das Überleben des europäischen Gesellschaftsmodells erheben – an den politischen Schaltstellen wird weiterhin für die Festung Europa gemauert, Stein auf Stein. Die Toten in Dover sind dann bemitleidenswerte Opfer böser Banden, und die muss man natürlich noch effizienter draußen halten.

Die „Schlepper“ nehmen in der europäischen Ideologie den Platz ein, den in den USA die atomwaffenbewehrten „Schurkenstaaten“ besetzen, und was den USA ihre Raketenabwehr, ist der EU ihre Abschottungspolitik: ein Schlüssel zum exklusiven Paradies unter der Käseglocke, wo man in einer geschützten Oase vor den Widrigkeiten der Welt sicher ist. Sieht so das Europa aus, in dem wir leben wollen? DOMINIC JOHNSON

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