DIE GESELLSCHAFTSKRITIK: Ein Gefängnis weniger
WAS SAGT UNS DAS? Chelsea Manning darf sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen. In Isolationshaft bleibt sie trotzdem
Von einem „monumentalen Tag“ spricht ihr Anwalt, von „unendlicher Erleichterung“ sie selbst: Chelsea Manning, WikiLeaks-Informantin und wegen Verrat und Spionage zu 35 Jahren Haft verurteilt, hat ihren fünftägigen Hungerstreik beendet.
Die Whistleblowerin, die vor drei Jahren entschieden hatte, ihren Geburtsnamen Bradley abzulegen und als Frau zu leben, war am 9. September in den Streik getreten, weil ihr das US-Militär eine geschlechtsangleichende Operation verweigert hatte. Die will ihr die Armeeführung im Militärgefängnis Fort Leavenworth nun gewähren. Für Manning ein Durchbruch – denn Fort Leavenworth in Kansas ist ein Männergefängnis, in dem es ihr bis dato weder erlaubt gewesen sein soll, lange Haare zu tragen noch die Hormone zu nehmen, die sie als Transfrau benötigt.
Allein – wann die Operation stattfinden soll, sei noch nicht sicher. Und überhaupt: Auch ihr Sieg über die Armeeführung ändert nichts daran, dass Manning unbefristete Isolationshaft droht, weil sie im Juli dieses Jahres versucht hatte, sich wegen der Haftbedingungen das Leben zu nehmen. Lenkt da der Jubel nicht vom eigentlichen Übel ab: dass ein Mensch, der Informationen über Morde des US-Militärs an ZivilistInnen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, unter unwürdigen Zuständen eingesperrt wird? Ist Isolationshaft nicht der Rede wert – solange sie gendergerecht ist?
Mannings Hungerstreik brachte ihr ein längst überfälliges Zugeständnis ein. Und so sind die Superlative, mit der sie und ihre UnterstützerInnen die Entscheidung feiern, angebracht. Wird der eigene Körper zum Gefängnis im Gefängnis, verliert eine ihrer Würde Beraubte noch die verbliebene Autonomie. Dabei muss ein Mensch auch – und wahrscheinlich gerade – in Isolation das Recht wahren dürfen, über seine Identität selbst zu verfügen. Ein monumentaler Tag ist der 14. September also nicht nur für Manning, sondern für alle Transmenschen. Julia Lorenz
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