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DIE GEOMETRIE DES CHAOS

■ „The Peking Opera Blues“ des Kungfu-Nestbeschmutzers Tsui Harks

„Everybody is Kungfu-Fighting“: Als ich etwa 13, 14 war, verwandelte dieses Stück muskelprotzender Discomucke unsere bis dahin schmusigen Klassenfeten in wuchtige Hau-drauf -Macht-Lustig-Parties, bei denen man sich schon tüchtig seiner Haut erwehren mußte, um nicht in den Tanzboden gestampft zu werden. Aber ähnlich wie mit dem „Lady Bump„ -Boom hatte es sich schnell ausgekungfut, nicht zuletzt auch wegen der Tatsache, daß es doch eher von Nachteil war, die Angebetete seines Herzens mit zärtlichen Nackenhieben und liebevollen Schienbeintritten zu umwerben. Montags auf dem Schulhof ging's dann umso hektischer weiter, denn im Fernsehen lief damals auch eine Kungfu-Serie mit David Carradine, eine muntere Kleinholzproduktion, die die älteren Jungs aber als affigen Klamauk abtaten, schworen sie doch Stein und Bein auf Bruce Lee, den einzig wahren Kämpfer. Ihrem Urteil mußte man sich schon alleine deshalb fügen, weil es solche Lee-Filme nur in den zwielichtigen Bahnhofkinos von Dortmund zu sehen gab, obwohl Castrop -Rauxel auch ans Bundesbahnnetz angeschlossen ist. Die goldenen Tage des Kungfu-Streifen made in Hongkong, deren explodierende Fäuste eine Zeitlang die Kinos bis zum Überdruß eindeckten, hatten sich Ende der siebziger Jahre wieder ausgeglänzt. Als mich ein Freund zudem als Trainingspartner für seine asiatischen Kampfkünste mißbrauchte und mir dabei den Daumen brach, war für mich das Thema gestorben.

Jahre später geriet ich zufällig in einen Film aus Hongkong, dessen martialischer deutscher Verleihtitel nur Übles ahnen ließ. Eine Szene daraus werde ich mein Lebtag nicht vergessen: Eine aus dem Fenster geworfene Katze (in Zeitlupe) wird von der Spitze eines Eisenzauns aufgespießt, übrig bleiben von ihr nur Fellfetzen, an denen Blut klebt. Derart physisch reinschlagendes Kino hatte ich vorher noch nie gesehen - der Film hieß „Don't play with fire“ und fraß mich mit Haut und Haaren ... drei gelangweilte Bürgersöhne klauen Vatis Auto, um eine Spritztour zu machen mit dem Ergebnis: „Ich glaube, wir haben jemand überfahren...“. Ein fataler, folgenschwerer Fehler der adretten Dümmlinge, vor allen Dingen, weil es eine Zeugin gibt, die ebenso schön wie durchgedreht ist. „Vergeßt nicht, daß ich euch in der Hand habe ... Eines Tages werdet Ihr es bereuen, mich nicht getötet zu haben!“ Ein düsteres, latent gewalttätiges Hongkong wird zum Spielplatz ihrer tolldreisten Abenteuersucht, die Jungs drehen halb durch aufgrund ihrer exzentrischen Macken, nichtsahnend, daß sie drauf und dran sind, in einen blutigen Tagtraum zu stolpern, - beim finalen Showdown auf einem riesigen Friedhof läßt der Italo-Western grüßen und Peckinpahs Blutbad-Choreographien feiern ein Auferstehen.

Ganze Passagen des Films mußten neu gedreht werden, um das ansonsten recht zugedrückte Auge der Hongkonger Zensurbehörden zu besänftigen, denn diesmal war mit Tsui Hark ein Nestbeschmutzer am Werk, der unversehens zum Totengräber des verbrauchten Hongkong-Kungfu-Kinos alter Machart wurde. Zwar dominiert in „Don't play with fire“ die großkalibrige Wumme das Geschehen, aber daß Hark sich auch auf Kungfu versteht, bewies bereits sein Erstlingsfilm „The Butterfly Murders“, ein düsteres Kungfu-Kammerspiel mit blutsaugenden Schmetterlingen, inszeniert nach dem „Zehn kleine Negerlein„-Prinzip.

„We're going to eat you“ ist Tsui Harks schlitzäugige Antwort auf Tobe Hoopers Motorsägengeknatter und Romeros Zombieinvasionen; eine Antwort, die sich in den Eingeweiden festkrallt, ein Titel, der Programm ist: Der Wahnsinn als Methode wird durch den Fleischwolf gejagt und heraus kommt ein kannibalisches Traktat, in dem nicht nur zwischen den Zeilen munter geschlachtet, ausgeweidet und verspeist wird. Ein Streifen Menschenfleisch als Lesezeichen ist dabei unverzichtbar und der Zehennagel in der Suppe ruft den Kopfgeldjäger in Django-Größe auf den Plan, ein Kungfu -Meister von provokanter Lässigkeit, der mitten im schönsten Kampfgetümmel auf der Stirn seines Kontrahenten eine Zigarette rollt.

Tsui Hark plündert die Filmgeschichte, wo er sie trifft, aber wer will da ernstlich meckern, wenn es so galant, genial und furios vonstatten geht wie in seinem letzten Film „Peking Opera Blues“ (1986). Da wird die traditionsreiche Peking-Oper ausgenommen, bis das Teehaus wankt und wackelt, es wird geheult, gestritten und gelitten wie im Herz-Schmerz -Melodram; Rollen werden getauscht und Identitäten gewechselt, bis die Fetzen fliegen, aber die Artisten unter der Teehauskuppel sind niemals ratlos und haben immer einen Scherz auf Lager, um gegebenenfalls ein neues Kungfu -Feuerwerk zu zünden.

Die Dreier-Kollision der Luftkämpfer vollzieht sich exakt in der Mitte des Raumes, der eine kommt durch die Decke ins Bild geflogen, die anderen beiden ergänzen sich jeweils von der linken bzw. rechten Seite her - die Geometrie des Chaos in Vollendung. Starke, mutige Frauen, schöner Gesang und die Liebe zur Revolution contra korrupte Militärs und verschlagene Geheimpolizisten; der „Peking Opera Blues“, aufgeführt vor dem farbenprächtigen Hintergrund der ersten demokratischen Revolution 1913, ist der erste Film einer Trilogie, die Tsai Hark über die Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert plant. Dreht er in diesem Tempo weiter, kann keiner mehr für den Erhalt der Chinesischen Mauer garantieren.

Andreas Döhler

„Peking Opera Blues“ (OmU) ab Do im Filmkunst 66 + Sputnik Südstern, ab 7.7. dann im Sputnik Wedding; „Don't play with fire“ und „We're going to eat you“ von Fr-So im Sputnik Wedding.

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