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DIE GEILE PFLANZE

■ Die Berliner Kammerspiele werden zum kleinen Horrorladen

In diesem Geschäft ist einfach kein Blumentopf zu verkaufen. Die Ausgangssituation bei Muschnik in der schlechten Wohngegend ist auf den ersten Blick klar und deprimierend. Ein paar Stengel Schnittblumen, wahrscheinlich Nelken, welken, schön ängstlich ins Schaufenster gerückt, an den Kunden vorbei, der Chef jammert und Audrey, das blonde Blumenmädchen und der grün beschürzte Gehilfe Seymour bangen um die schlecht bezahlte Stelle.

Im amerikanischen Showbusiness ist das der Stoff, aus dem die Träume sind. Das Souterrainelend, die verkommene Wohngegend und die amerikanischen Feuertreppen sind meist der Doppelpunkt, nach dem eine Aufsteigergeschichte, wahlweise als Tellerwäscher, Boxer oder Sänger, folgt: Seymour, noch ganz das schüchterne Heimkind, schlecht gekleidet, mit Ärmelschonern und Brille, reussiert mit einer „wahnsinnig interessanten“ Pflanzenneuzüchtung. Bald wird „Der geniale Botaniker“ im Radio interviewt: „Wie haben Sie das gemacht?“ „Ja, ähm.“ „Vielen Dank, Seymour. Es folgt Musik.“ Wir sparen uns hier die weiteren Stufen vom Aufstieg und Fall des jugendlichen Blumenforschers und wechseln das Objektiv.

Sympathisch sind die selbstironischen Züge des Musicals, die den „Kleinen Horrorladen“ in den Berliner Kammerspielen unter der Regie der musicalerfahrenen Anna Vaughan, wie auch schon die beiden Verfilmungen auszeichnen. Souverän werden die Klischees auf die Spitze getrieben. Das verkitschte Slumelend, bei Porgy und Bess pathetisch rekonstruiert, entzückt hier, wenn unter dem klappernden Deckel der obligatorischen geriffelten Blechmülltonne ein frecher Straßenkater auftaucht. Diese Mischung aus „Fritz the Cat“ und Oscar aus der Sesamstraßen-Mülltonne treiben den letzten Sozialkitsch aus und den Abend zum hemmungslosen Amüsement. Kaum hat sich der Vorhang gehoben, wird klar: Dafür tut man alles. Die Inszenierung wuchert geradezu mit den Essentials des Musicals. Das Tempo ist atemberaubend, bei der Ausstattung wurde sicher nicht gespart. Die Darsteller sind nicht nur gut besetzt, sondern brillieren von der Titelrolle Seymour (Andreas Lachnit) über das hemmungslos schokoladensüße Trios der drei farbigen Mädels von nebenan (Lynne und Ariline Williams und Monique Harcum) bis zur lebenden Pflanze (E. Jordan und Christofer v.Beau).

Aber der wirkliche Hammer in diesem kleinen Horrorladen ist natürlich die wachsende und singende Pflanze, das Ding an sich. In Wahrheit bei Sonnenfinsternis in Chinatown vom Himmel gefallen (in Amerika kommt alles Böse immer aus dem Osten), züchtet und pflegt Seymour in seinem Blumenladen mal wieder die Geißel der Menschheit heran, den verdrängten Trieb. Roger Corman, der 1960 die erste Verfilmung von „Little Shop of Horrors“ zu Wege brachte, kommt aus der schönen Tradition der B-Pictures mit Horroreffekt. Und die funktionieren noch heute bei Spielberg nach dem Rezept „Zauberlehrling“. Kaum hat er den Pakt mit dem Bösen geschlossen, da wird der weiße Wissenschaftler - zwingend mit Brille (Seymour trägt ein Heiner-Müller-, Woody-Allen oder auch Fünf-Minuten-Terrine-Brillenmodell) - die Geister, die er rief, nicht mehr los. Und das kann wahlweise wie im frühen Corman-Film „Der Angriff der Krabbenmonster“ auch ein weißer Hai sein, der einem unten was abzwackt, oder die vielen schwarzen Löcher, in denen die Zukunftsforscher immer zu versinken drohen.

Die Pflanze lebt! Und sie ist ewig hungrig auf Menschenfleisch. Schon der geile Song, mit dem das Ding aus seiner Gegenständlichkeit erwacht, heißt „Gib's mir!“ Das macht an und zeigt triebhafte Struktur, Audrey II, wie Seymour sie verliebt beziehungsreich nach dem Blumenmädchen nennt, ist all das, was Männer fürchten. Das immer größer werdende Klappmaul der singenden und tanzenden Mutter Natur erinnert penetrant an die Verpflanzung - muß es wohl heißen

-der männlichen Phobie NumberOne: einer unersättlichen Vagina dentata. Ein sadistischer Zahnarzt kommt übrigens auch vor, trifft aber zu seinem Unglück in einer sehr schönen blutigen Monthy-Python-Szene auf einen noch härteren dentalen Masochisten. Im zugeklappten Zustand, sozusagen ruhend, bietet die Horrorpflanze den obszönen Anblick einer noppenbewehrten Schwanzspitze aus Schaumstoff. Da die geile Pflanze mit dem weiblichen Namen von zwei Männern durch Gesang (Eddie Jordan) und Spiel mit dem Klappmaul (Christofer v. Beau) zum Bühnenleben erweckt wird, bestätigt sich meine analytische These: Pflanzen sind zwiegeschlechtlich.

Susanne Raubold

In den Berliner Kammerspielen außer montags um 19.30 Uhr.

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