DIE EU MUSS AUS DER RUSSISCHEN KRIMINALISIERUNG SAKAJEWS LERNEN: Putin, Europas falscher Freund
Der dänischen Regierung blieb gar nichts anderes übrig, als den tschetschenischen Politiker Achmed Sakajew nach fünfwöchiger Untersuchungshaft freizulassen. Auch nach mehrfach verlängerter Frist konnte Moskau eine angebliche Terrorbeteiligung Sakajews nicht nachweisen – juristisch konnte die Ansage in Dänemark also nur „Freilassung“ heißen. Die politische und moralische Katastrophe war, ihn überhaupt erst festnehmen zu lassen; ihn in einer panikartigen Nacht-und-Nebelaktion morgens um Viertel nach zwei aus dem Bett heraus zu verhaften – was, abgesehen von diesem Kniefall vor Moskau, auch noch russischen Methoden glich. Der Versuch, diesen Mann zu kriminalisieren, ist damit planmäßig abgeschlossen. Der Kreml hat Sakajew in seiner Friedensmittlerrolle und mit ihm den Exilpräsidenten Aslan Maschadow diskreditiert.
Augen zu und erst mal festnehmen – sollte dies das neue Rechtsprinzip im Zeitalter des weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus sein, dann bitte gleiches Recht für alle. Es gibt da beispielsweise den Exchef des russischen Sicherheitsdienstes, Wladimir Putin. Der setzt, nunmehr russischer Präsident, in Tschetschenien das um, was Slobodan Milošević im Kosovo vergleichsweise stümperhaft gelang. Warum sitzt der eine vor dem Kriegsverbrechergerichtshof, und der andere darf sich von einem US-Präsidenten „mein Freund“ nennen lassen? Warum verschließen Politiker Augen und Ohren vor dem, was sich in Russland tut, gleich ob sie Clinton, Bush, Kohl oder Schröder heißen? Natürlich kann man Putin und Milošević nicht vergleichen – Ersterer hat viel mehr Tote auf dem Gewissen.
Gäbe es in Kopenhagen, Brüssel und Berlin eine kleine Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen: Moskaus Sakajew-Verleumdungsskandal bietet eine Gelegenheit dazu. Irgendwann müssen sich die RealpolitikerInnen in EU und Nato in Sachen Tschetschenien nämlich sonst die Frage gefallen lassen, wieweit sie eigentlich noch von einer Rolle als offizielle Alliierte Russlands im Tschetschenienkrieg entfernt sind. REINHARD WOLFF
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