DIE ELITE IM STRASSENKAMPF : Berlins erste Straßenuniversität im Excellence-Cluster
VON HELMUT HÖGE
Wowi-Dialektik: Während immer mehr Elitehochschulen für Privilegierte entstehen, werden gleichzeitig „Straßenuniversitäten“ für die sozial Benachteiligten gefördert. Hier entwickelt man die „streetwisen“ Künste (Graffiti, Rap usw.) zur Bühnenreife, dort werden die Herrschaftsfächer Jura und BWL gelehrt. So berichtete etwa Jana, BWL-Studentin an der Eliteuniversität „Viadrina“ in Frankfurt (Oder): „Neulich sagte der Professor zu uns: ‚Wenn ich andern Gutes tue, tu ich mir selbst nichts Gutes …‘ Und das haben alle brav mitgeschrieben.“
In der privaten Berliner „Hertie-School of Governance“, die im „Quartier 110“ der Deutschen Bank domiziliert ist und wohin die Studenten kommen, um das „Regieren“ (Governance) zu lernen, kamen mir letzte Woche zwei junge Rapper im Foyer entgegen. „Das dauert ja noch mit den Reden, ich geh erst mal einen Döner essen …“, sagte der eine, worauf der andere zu bedenken gab: „Hungrig rappt es sich am besten!“ Im „Auditforum“ der Hertie-Uni wurde an diesem Tag dem Präsidenten der „StreetUniversity“ Berlin, Gio di Sera, der „Freiherr-vom-Stein-Preis für gesellschaftliche Innovation 2009“ verliehen. Den Scheck über 25.000 Euro händigte ihm der Vizepräsident der Humboldt-Universität aus.
Gestiftet wurde dieser Preis bereits 1930 – von einem der reichsten Getreide- und Futtermittelhändler Deutschlands: Alfred Toepfer. Zunächst bezog sich seine Stiftung auf die europäische Landwirtschaft, ab den 70er-Jahren konzentrierte man sich jedoch zunehmend auf soziale und kulturelle Projekte. Der Preis für „gesellschaftliche Innovation“ trägt nicht zu Unrecht den Namen vom Stein: Dessen im Moskauer Exil verfasste Gesellschaftsentwürfe bezogen bereits den „Straßenkampf“ in Guerillamanier mit ein.
An der Preisverleihung sind neben der Alfred Toepfer Stiftung auch noch die Humboldt-Universität beteiligt sowie die durch ihre „Bürgergesellschafts“-Plakate bekannt gewordene „Stiftung Mitarbeit“. In deren leitenden Gremien sitzen Personal- und Organisationsentwicklerinnen sowie Kommunikations- und Rhetorik-Dozenten, daneben auch die Alfred Toepfer Stiftung. Ist das so etwas wie eine schleichende feindliche Übernahme, nur umgekehrt: um Geld loszuwerden?
Egal, es ging bei dem ganzen zweistündigen Event um Bargeld für Gio di Sera. Der Galerist Michael Wewerka, das Kunstamt Kreuzberg und die taz haben den neapolitanischen Künstler seit 1990 „gefeatschert“, fast ebenso lange wie der in Kreuzberg lebende Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir sowie die Bundeszentrale für politische Bildung beziehungsweise deren Leiter, Thomas Krüger, der schon als Schulsenator mit dem „Streetworker“ di Sera zu tun hatte. Neueren Datums ist dessen Kontakt zu DaimlerChrysler. Der Konzern finanzierte die Renovierung des Gebäudes der StreetUniversity Berlin (SUB) – die Naunynritze in SO 36 –, wo sich nun ein SUB-Club befindet, und bot den SUB-Studenten zudem Kommunikationskurse bei sich am Potsdamer Platz an.
In ihrer Laudatio führten zwei SUB-Mitarbeiter aus, wie der „Autodidakt“ die Sera sich vom Heimkind und „unruhigen Straßenjungen“ in Neapel zum Künstler, Performer, Streetworker und schließlich zum Unipräsidenten selbstentwickelt hat. Für sein Projekt entscheidend war „die Wende“, die „für viele kein freudiges Ereignis war – besonders in Kreuzberg“, wo bald immer mehr „gescheiterte junge Menschen“ lebten, die das auch selbst so empfanden – und deswegen erst einmal den „Respekt sich selbst gegenüber“ wiederfinden mussten.
Darum ging es schon 1991 in di Seras „To stay here is my right-Posse“ und darum geht es nun in der StreetUniversity. Mit dem Selbstbewusstsein ist es im Kapitalismus wie mit dem Geld: Was die einen – an den Eliteuniversitäten – zu viel haben, haben die anderen zu wenig. Cem Özdemir sprach von „sozialer Ungleichheit“ – der di Seras Initiative aufs Schönste entgegenwirke.
Noch schöner wäre es freilich, wenn dessen „Straßen-Universität“ Juristen und Manager ausbilden und die Hertie-Herrsch-Schule ihre Studenten zum Rappen, Tanzen und Malen auf die Straße schicken würde. So ähnlich geschah es bereits während der Kulturrevolution in China. Im derzeitigen nahezu globalen Restaurationsklima dürfte diese Idee jedoch zu weit hergeholt sein.