■ ASJA LACIS: DIE DREI B'S
A S J A L A C I S D I E D R E I B ‘ S 1928 wurde ich von Sojuskino, Narkompros, nach Deutschland abkommandiert. Die Gruppe 'Proletarisches Theater‘, deren Mitglied ich war, bevollmächtigte mich, Kontakte mit dem Bund proletarischer Schriftsteller aufzunehmen. Anfang Herbst 1928 kam ich in Berlin an. Die sowjetische Handelsvertretung stellte mich in der Filmabteilung ein ich wurde zum Referenten für Kultur- und Schulfilm ernannt. In Berlin kam ich oft mit den drei Bs zusammen: Brecht, Becher, Benjamin...
Benjamin begleitete mich beinahe immer zu den öffentlichen Veranstaltungen des Bundes proletarischer Schriftsteller in Arbeiter- hallen, wo Becher, Weinert, Eisler auftraten. Diese Veranstaltungen waren ausgezeichnet, großartig. Besonders, wenn Erich Weinert seine Gedichte sprach - er elektrisierte mit seinem revolutionären Pathos den ganzen Saal.
Die Kommunisten und die Sympathisierenden glaubten damals, daß die proletarische Revolution bald in Deutschland ausbrechen und siegen würde. Obwohl die Kommunisten in hartem Kampf gegen den mächtigen deutschen Kapitalismus und gegen die Nazis standen, war die Stimmung kämpferisch, zukunftssicher. Diese Stimmung übertrug sich auch auf Benjamin. Doch wurde er besorgt, wenn er an das deutsche Kleinbürgertum dachte. Es ist eine große Masse. Welche Rolle wird diese Mittelklasse, berüchtigt durch Egoismus, Borniertheit, Ignoranz, Mangel an Rückgrat, spielen? Wie wird sich die Masse der Ladenbesitzer, der Eigentümer der kleinen Betriebe, die ihren Besitz, ihre scheinbare wirtschaftliche Unabhängigkeit wild verteidigen, zur proletarischen Revolution verhalten? Die hitlerische Demagogie ist dumm und grob, offenkundig lügnerisch. Dennoch macht sie auf das Kleinbürgertum Eindruck. Wenn Hitler es in den Griff bekommt, so wird dies sehr gefährlich werden. (...) Siegfried Kracauer (den ich später kennenlernte) erzählte, daß er an einer Schrift über die politische Psychologie des deutschen Kleinbürgers arbeite...
In der Sowjetunion stellten die Enthusiasten des Dokumentarkinos ausgezeichnete Filme her: Dsiga Wertow, der Begründer der Richtung Kinoki (Kinoauge), und Esfira Schub. Ich war von ihnen begeistert und wollte auch etwas für sie tun. Benjamin riet mir, Filme von Wertow und von Schub dem Kracauer zu zeigen. Wenn sie ihm gefallen, dann sind Wertow und Schub für Deutschland Stars. Ich lud Kracauer ein, und speziell für ihn wurde ein Wertow-Film im Vorführungsraum der Handelsvertretung gezeigt. Ich beobachtete ihn, er sah den Film zuerst mit Aufmerksamkeit, dann mit Interesse, dann mit Begeisterung. Einige Tage später veröffentlichte die 'Frankfurter Zeitung‘ den Aufsatz Kracauers über das sowjetische Kinoki - eine Lobeshymne. Wertow und die Schub waren nach Berlin berufen...
Erinnerungen an Berlin. Sie wurden zwischen 1968 und 1971 nachträglich notiert, ihre Autorin ist Asja Lacis.Michael Trabitzsch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen