DFB-Elf ohne Giulia Gwinn: Gwinn bleibt Anführerin
Schock für die DFB-Auswahl: die eigentlich unersetzbare Außenverteidigerin Giulia Gwinn kann verletzungsbedingt nicht mehr weiterspielen. Was nun?
Insofern kann man sich in etwa vorstellen, mit welch großer Herausforderung es die Verantwortlichen im DFB-Lager zu tun haben, um Zuversicht für die nächsten Spiele zu verbreiten. Denn seit Samstag ist klar, dass Gwinn bei dieser EM nicht mehr spielen wird. Zwar bleibt ihr das Schicksal eines dritten Kreuzbandrisses erspart, aber auch die diagnostizierte Innenbandverletzung am linken Knie, die sie sich im Auftaktspiel gegen Polen zuzog, erfordert eine mehrwöchige Pause.
Und man kann sich vorstellen, welcher Druck nun auf der erst 21-jährigen unerfahrenen Carlotta Wamser lastet. Auch wenn sie für ihren ersten forschen Einsatz als Gwinn-Stellvertreterin am Freitagabend reichlich Lob einstrich. Die große Frage ist, wie die gelernte Stürmerin gegen offensivstärkere Teams als Polen besteht.
Nia Künzer, die Direktorin für Frauenfußball beim DFB, war die Erste, der die Aufgabe der Beschwichtigung oblag. Sie verkündete am Samstag: „Ich bin überzeugt von diesem Team und diesem Team-Spirit. Und natürlich wollen alle jetzt auch noch mal mehr für Giulia spielen.“ Am Sonntag verbreiteten Linda Dallmann und Sarai Linder reichlich Optimismus auf der DFB-Pressekonferenz.
Gwinn jetzt Homeoffice-Kapitänin
Die Stimmung, erklärte Linder gar, sei „an sich gut. Aber klar sind wir alle noch erschüttert und traurig was mit Giulia passiert ist.“ Für etwas bessere kollektive Laune hat die Nachricht gesorgt, dass sich Gwinn keine schlimmere Knieverletzung zugezogen hat.
Eine Abschiedsbotschaft für die nächsten Tage hat die Kapitänin, die erst einmal ein paar Tage zur Behandlung in München sein wird, nicht formuliert. Aus Sicht von Linder ist das auch überhaupt nicht nötig: „Die Aufgabe von Giulia ändert sich ja nicht. Sie gehört immer noch dazu. Sie wird uns wahrscheinlich noch ganz viel mit auf den Weg geben.“ Das könne sie ebenso aus der Ferne machen. „Sie ist immer noch unsere Anführerin.“
Beim DFB-Team hat man sich binnen kürzester Zeit so eine Art neues Jobsharing-Modell ausgedacht. Gwinn übernimmt das neue Amt der Homeoffice-Kapitänin. Janina Minge rückt als neue Kapitänin vor Ort in der Hierarchie ebenso auf wie Sjoeke Nüsken, welche die Vize-Aufgaben von Minge nun übernimmt. Für Mitspielerin Linder eignet sich Minge bestens für die Beförderung. „Sie ist eine sehr Ruhige, aber wenn was ist, kommuniziert sie mit dem Trainerteam. Sie wird das sehr gut umsetzen können.“
Den schwersten Part aber hat Carlotta Wamser zu schultern. Sie soll Gwinn auf der rechten Außenbahn ersetzen. Und beim nächsten Spiel am Dienstag im Basler St. Jakob Park gegen Dänemark (18 Uhr) werden Millionen von deutschen Fußballfans genau schauen, wie die Spielerin von Bayer Leverkusen das meistern wird.
Demonstrative Unbekümmertheit
Die linke Außenverteidigerin Linder hat keinerlei Bedenken, dass ihr das gelingen wird. Tipps von ihr könne sie haben, bräuchte sie aber nicht. „Sie hat das gegen Polen so überragend gemacht, sie soll ihren Stiefel einfach weiterspielen. Durch ihre Art und ihren Spielwitz kann sie uns weiterhelfen.“ Schon in der Bundesliga habe sie Wamsers Spiel auffällig gefunden. „Jetzt ist sie halt von Anfang an dabei, warum nicht?“
Mit demonstrativer Unbekümmertheit versuchen die deutschen Nationalspielerinnen Wamser den Druck zu nehmen. Dahinter ist auch eine Sehnsucht nach der Leichtigkeit zu spüren, die sich das Team vor der EM erspielt hatte. Die intensive Beschäftigung mit der Causa Gwinn hat in den vergangenen Tagen alles überschattet, auch den erfolgreichen Start in diese EM mit einem Sieg. Einem Fragesteller, der dies zur Sprache brachte, dankte Linder sehr.
Am Mittwoch wurde Giulia Gwinn übrigens erstmals wieder mit Krücken und einer Bandage auf dem DFB-Trainingsplatz in Zürich-Buchlern gesichtet. Zeugen berichteten von Gesprächen mit ihren Mitspielerinnen, einschließlich Carlotta Wamser und einer Sonnenbrille.
Linda Dallmann setzt in den nächsten Tagen auf den Effekt der Wagenburg im Krisenfall. „Das bringt uns als Team näher zusammen. Das ist vielleicht etwas Gutes“ Alle sind jetzt gefordert. Dallmann erklärte: „Wenn man ein Mann weniger ist, hat man mehr zu tun.“ Eine Wortwahl, welcher der Macht der Sprache, oder besser gesagt der Herrschaft der Sprachgewohnheiten geschuldet war. Wenn dem DFB-Team tatsächlich nur ein Mann fehlen würde, wäre die Stimmung bestimmt besser.
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