: DEVOTIONALIEN
■ Ausstellung des Staatlichen Historischen Museums Moskau in der Zitadelle Spandau
Es geht in der Ausstellung „Von der Perestroika bis zur Oktoberrevolution“, wie der Titel schon nahelegt, nicht um sowjetische Kunst, sondern um sowjetische Geschichte. Das heißt eigentlich geht es auch nicht um Geschichte, sondern um ihre äußerlichen Zeichen und kleinen Denkmäler: Postkarten, revolutionäre Lederjacken, Originalabzüge berühmter Dekrete, Plakate, Mitgliedsbücher berühmter Genossen, Propagandafotos, bemalte Teller, Biskuitbüsten usw. Devotionalien einer entschwindenden Religion. Wer wie ich Devotionalien mag und sie für erkenntnisfördernd hält, sollte unbedingt hingehen.
Ein Nachteil volkskundlicher Ausstellungen ist häufig, daß die historischen und geistesgeschichtlichen Kontexte nicht dargestellt werden. Der Betrachter muß sie mitbringen. So auch hier: Die Präsentation ist - sieht man vom Schlußteil über Perestroika ab - thematisch gegliedert: Ideen des Oktobers, Demokratie, Führer, Arbeit, Erde, Held, Feind, Verteidigung des Vaterlandes, Kinder sind unsere Zunkunft, Wissen ist Macht. Damit erscheint die Ausstellung wie ein Schlußstrich unter eine Epoche.
Dies vorausgesetzt, ist die Ausstellung köstlich. Die mit Traktoristinnen oder industriellen Aufbauszenen bemalten Porzellantassen von 1929 sind ebensohübsch wie bunte Figürchen, die Lenin im Gespräch mit Bauern darstellen, oder ein Teekännchen mit dem Motiv „Alle zum Gemeinschaftsmarsch“. In der Sektion „Führer“ ist u.a. zu sehen: ein Tuch von 1922 mit den Bildern von Engels, Marx, Lenin und Trotzki - letzterer wurde sorgfältig herausgetrennt; ein Zigarrenetui von 1924 mit einem Emailporträt Lenins; eine Landkarte von 1939, die „zum 60. Geburtstag des Großen Führers der Völker I.W. Stalin“ die Orte seiner Heldentaten im Bürgerkrieg zeigt; ein im Panfilow-Kinderheim gestickter Lenin vom Anfang der vierziger Jahre; eine Tabakspfeife „anläßlich des 70. Geburtstages des Großen I.W. Stalin“ - Gold, Holz, Elfenbein - von 1949; viele Mitgliedsausweise Chruschtschows seit 1925 und ein Foto, auf dem der Kahlkopf einen reisanbauenden Kolchos besucht; ein Wandbild von 1977, das die brüderliche Freundschaft zwischen Breschnew und Todor Schiwkow preist.
Natürlich wäre die Ausstellung für Anfänger im Sowjetischen lehrreicher, wenn z.B. die Reichtum suggerierenden Landwirtschaftsfotos vom Beginn der dreißiger Jahre oder der Porzellankrug mit dem Deckel „Mach den Kolchos stärker“ mit einigen Angaben über die Zeitumstände unterlegt wären oder wenn man die Bedeutung der ab 1942 eingeführten militärischen Orden - Suworow, Kutusow, Chmelnizkij, Uschakow, Alexander Newskij usw. - erläutert hätte. Immerhin verweisen sie auf einen Umsturz des sowjetischen Geschichtsbildes in jener Zeit.
Der Abschnitt über die Perestroika-Zeit schließlich zeigt viel Oppositionelles und Nichtoppositionelles, einschließlich eines „Litauen„-Wimpels der Sajudis oder einer Schallplatte mit Liedern sowjetischer Afghanistankämpfer („Soldaten-Internationalisten“) von 1989. Schließlich kommt auch Gorbatschow nicht zu kurz. Auf dem Plakat überdeckt sein Foto immerhin teilweise das Lenins.
Erhard Stölting
„Von der Oktoberrevolution bis zur Perestroika“. Eine Ausstellung aus den Beständen des Staatlichen Historischen Museums Moskau zur Geschichte der Sowjetunion in der Zitadelle Spandau noch bis 2. September 1990, Katalog 28 Mark, Begleitheft 1 Mark
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