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DER ÜBERREDUNGSKÜNSTLER

■ Fürst Noccsa, ein trauriges Mädchen, eine Ausstellung

DER ÜBERREDUNGSKÜNSTLER

Fürst Noccsa, ein trauriges Mädchen, eine Ausstellung

Es war einmal ein junger Fürst, der lebte glücklich in einem Land, in dem die Sonne lange über die weiten Felder, Wiesen und sanften Hügel schien. Das Volk arbeitete hart: Es bestellte die Felder, züchtete Vieh und setzte in den großen Fabriken Maschinen zusammen. Viele lebten in der alten, ehrwürdigen Stadt, die der breite Strom in zwei Hälften teilte und in der einst so viele Völker zusammengekommen waren. Dort wohnte auch der Fürst. Oft nahm er abends seine Gitarre, ging in die rauchigen Weinstuben und sang den Menschen seine Lieder.

In einem Jahr aber war alles anders. In vielen Ländern der Erde versuchten die Menschen den Aufstand gegen ihre Herren. Die Herren wurden zornig und befahlen, die Aufständischen einzusperren. Da mußte der Fürst seine Stadt verlassen. Neunzehn Jahre zählte er erst. Er zog nach Norden in ein fremdes Land, in eine große Stadt, in der es oft regnete und in der das Volk keinen Wein trank. Der Fürst suchte sich eine kleine, dunkle Wohnung mitten in der Stadt in der Nähe der Mauer, die diese Stadt in zwei Hälften teilte. Doch auch hier saßen die Menschen abends beisammen. Da nahm der Fürst wieder seine Gitarre, lief durch die Stadt, trank in den Stuben Bier und sang den Menschen vor. Wenn sie ihn fragten, wer er denn sei, dann antwortete er: „Ich hieß Janos Baksa Soos. Jetzt aber bin ich der Fürst Noccsa.“ Und dann unterhielt der Fürst sich mit all den Menschen, die er in den langen Nächten kennenlernte. So vergingen die Jahre.

Eines Tages brachte ein Bote dem Fürsten die Nachricht eines armen Mädchens, das den Fürsten gern für eine Zeitung interviewen wollte. Ein Freund des Fürsten hatte ihm nämlich gesagt, daß der Fürst ein großer Künstler sei. Der Fürst sandte dem Mädchen eine Antwort und hängte vor das Portal seiner Wohnung an eine goldene Kette ein Schild, das das Mädchen willkommen hieß. Als das Mädchen aber am vereinbarten Tag klopfte, blickte der Fürst auf seine kleine, schwarze Digitaluhr und stellte fest, daß das Mädchen drei Minuten zu früh gekommen war. Er öffnete ihm und hieß es, im Flur die drei Minuten noch zu warten. Während er dies sagte, betrachtete er das Kind und dachte bei sich, daß es sehr traurig aussähe.

Geschwind deckte der Fürst also die Tafel, denn er meinte, daß die Menschen viel essen müßten, wenn sie gesund und lustig sein wollten; wenn einmal keine Speise zu finden sei, dann sollten sie sich besser schlafen legen. Dann bat er seinen Gast zu Tisch und befahl ihm, sein Mikrophon in der Tasche zu lassen. Zuerst reichte der Fürst Doppelwaffeln mit Haselnußschokolade. Das Mädchen aß schweigend, denn sein Wirt hatte ihm verboten, irgendwelche Fragen zu stellen, weil es noch zu jung zum Fragen sei. Dann mußte das Mädchen Rote-Beete-Saft trinken, damit es auch tüchtig wachse. Als das Mädchen aber ungeschickt war und seine Mundwinkel rot beschmierte, wurde der Fürst ärgerlich und forderte es auf, sein Gesicht zu waschen. Dann mischte er ihm ein Labsal aus Bier und Wasser und gab es dem Kind aus einer chinesischen Teeschale. Zum Abschluß des Mahls schenkte er ihm eine Prise Magensalz, damit es gut verdauen könne.

Als das Mädchen noch nicht fröhlich schaute, kippte der Fürst seinen Ghettoblaster auf die rechte Box, legte eine leere Kassette ein und nahm seine Gitarre, auf der winzige Sterne blinkten. Dem Mädchen gab er ein wunderliches, kleines Gerät und zeigte ihm, wie man ihm zarte Töne entlocken könne. „Do-re-mi-fa-so“, erklärte er dem Mädchen, als er sah, daß es erstaunte. Dann schlug er ein paar Töne an und erhob seine Stimme. Glasklar klang sie. Alle Worte der Welt verschmolzen im Munde des Fürsten zu einer neuen Sprache, nur das Wort „Weihnachtsmann“ blieb der Muttersprache des Mädchens treu. „Spiel!“ gebot der Fürst dem Mädchen, und zaghaft begann es, sein Instrument zu spielen. Der Fürst sang, pfiff und jubilierte und vergaß das Mädchen ganz. Schließlich verstummte sein Spiel, und der Fürst lachte, als ob er nie mehr aufhören wollte.

Da merkte der Fürst, daß das Mädchen immer noch nicht lustiger war. „Komm, ich zeige dir etwas“, sprach er, nahm das Mädchen bei der Hand und führte es in die Gemächer, in denen er seine Schätze aufbewahrte. Auf einem Buffet lagen dort kleine Kreise, Quader, Kreuze, Kugeln und Sonnen, die der Fürst aus Ton geformt hatte. Sie schillerten in allen erdenklichen Farben, und kleine Sterne auf ihnen brachen das hereinfallende Licht. Der Fürst hatte die Teile auf armlange Lederriemen gezogen, so daß sie als Ketten getragen werden konnten. Er selbst hatte sich eine solche um den Hals gehängt, und sie sah wahrhaft majestätisch an ihm aus. In einem anderen Raum, in dem nur eine Schwarzlichtröhre glomm, hing direkt neben der Tür ein Spiegel. Der war aus vielen Scherben zusammengesetzt, deren Enden einander umschlangen. Eine war schöner als die andere. Sie prunkten in hellem Rot und Grün, leuchtendem Orange und in Silber und Gold.

Gegenüber der Feuerstelle baumelte eine Figur, wild anzuschauen, die wies auf ein chinesisches Schwert, das an der schwarzen Wand über der fürstlichen Lagestätte hing. Der Fürst hatte es in verschiedenen Grüntönen bemalt, und so schien es, als trüge es ein Tarnkleid. Das Glanzstück seiner Sammlung aber trug der Fürst ins Licht. Auf einen großen purpurroten Wandteppich hatte der Fürst in anderthalb Jahren langer Arbeit ein Bild gestickt. Ganz nah herangehen mußte das Mädchen, um die vielen verschiedenen Fäden unterscheiden zu können. Dicht an dicht waren sie durch das Tuch gewirkt. In der Mitte des magischen Teppichs erhob sich ein mächtiger Baum. Augen tauchten auf, die Sonne schien, und gleichzeitig blitzten kleine Sterne. Das Mädchen wußte gar nicht, wohin es zuerst blicken sollte, so blendete es die Pracht, und zum ersten Male lächelte es. Da freute sich der Fürst und lud das Mädchen ein, mit ihm zu einem Fest zu kommen, das die Fürstin Schwarze Tigerin ihm zu Ehren geben wollte.

Längst war es Nacht geworden, und die Sterne funkelten vom Himmel herab. „Ich sage euch eins, ich bin der Fürst Noccsa“, rief der Fürst in die Dunkelheit hinein und lachte. Und er gebot der alten Wirtin, dem Mädchen eine Limonade einzuschenken, und befahl den Händlern, ihre kleinen Läden wieder aufzutun, um den beiden Käse und Champagner zu reichen. Nach vielen Stunden erreichten die beiden Wanderer das Schloß der Fürstin. Schwarze Tigerin erwartete sie bereits und führte ihre Gäste unzählige Treppen entlang, hinauf und hinunter, durch Türen und Tore, bis sie an der Pforte zu ihrem Zauberreich ankamen. Die Fürstin schloß sie auf, und sie sahen in einen großen, weißen Saal, in dem ein Ofen stand. Die Fürstin öffnete ihn und nahm behutsam all die Herrlichkeiten heraus, die der Fürst hier brennen ließ. Bunte Steine, blauweiß oder schwarzweißkariert mit kleinen, leuchtendgelben Vierecken, flache Rundsteine - es funkelte in Grün, Türkis und Rot. Ein Fest! Der Fürst lachte und ließ die Champagnerkorken knallen.

Dann aber brachte er einen winzigen kleinen Leuchtturm mit einer roten Kappe zum Vorschein, kühlte ihn mit Chamagner, daß es nur so zischte und überreichte ihn dem kleinen Mädchen. „Das ist für dich!“ sagte er. Da lachte das Mädchen, daß es dem Fürsten eine Freude war. Das Mädchen dankte dem Fürsten von ganzem Herzen und sprang davon.

Vor dem Tor des Schlosses wartete bereits eine Kutsche und fuhr das Mädchen mit dem winzig kleinen Leuchtturm zurück in ihr armseliges Zuhause, in dem von Stund an das Türmchen des Fürsten Abend für Abend strahlte und das Mädchen lachen ließ.Claudia Wahjudi

Dieser Sommer. Ausstellung von Fürst Noccsa, B. Bori, D. Dimitrofff, H. Drucker, K. Kecskes, R. Altmann, H. Kronbichler, Yaemon L. Moldavi, Eva Nemesi, E. Piepho, Premiere, W. Reichelt, Grüner Speer, A. Rozsahegyi, Silver Pfeil, Z.+B. Villany, T. Jsokuti. Kato-Galerie im U-Bahnhof Schlesisches Tor, 12.6.-10.7., Di-So 15-20 Uhr.

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