■ DER ROTE FADEN: Das Ohr am Nachtkissen
Sigmund Freud kannte das Usenet noch nicht. Schade. Auch ohne Modem tauchen wir jede Nacht ein in die virtuellen Welten unserer Träume, die so schwer zu deuten sind. Wer den Mut hat, kann die Newsgroup alt.dreams um Hilfe bitten.
– Ich bin Statist für Marilyn Monroe. Ich stehe da, das Gesicht von der Kamera abgewandt, sexy. Ich denke, daß einige auf dem Set neidisch sind. Was bedeutet dieser Traum? Zufälligerweise bin ich ein Mann. Tatsächlich würde ich hier am liebsten alles stehen lassen und nach Hollywood gehen. Rick
– Ich gehe allein durch eine Straße. Zerstörung überall, eingestürzte Gebäude, Trümmer. Jemand ruft meinen Namen. Ich sehe Marinesoldaten meiner Einheit mit einem Fünftonner. Ich steige ein, sie drücken mir ein Gewehr in die Hand. Einer fragt mich: „Was denken Sie, Sergeant?“ Ein anderes Mal bin ich in einer Küstenstadt. Alles scheint normal. Aber dann höre ich eine Art langanhaltender Explosion. Als der Lärm vorbei ist, ist alles zertrümmert, Schutt und menschliche Körper liegen herum. Ich entdecke eine Gruppe Schwarzgekleideter. Einer stößt mich mit dem Gewehrkolben, aber ich kann ihn in die Seite treten und ihm das Gewehr entreißen. Ich schieße und wache auf. Ich gebe zu, daß ich eine seltsame Lust verspüre, diese Dinge ins Internet zu schreiben. Frenchy
– Klingt nach Vorsehung. Der Dritte Weltkrieg wird ausbrechen, wenn die USA von Naturkatastrophen geschwächt sind. Manche sagen, daß Streitkräfte aus der Unterwelt dabei helfen. Aber eine Erweckungsbewegung wird sich ausbreiten und im Jahr 2014 eine spirituellere Gesellschaftsordnung herbeiführen. Dave W
– Neulich habe ich geträumt, daß ich ein gigantisches Marshmellow aufesse. Als ich aufwachte, war mein Kissen verschwunden. T Garston
– Dieses Phänomen ist bekannt und gut dokumentiert. Nur wird es aus offensichtlichen Gründen der nationalen Sicherheit von den Medien nicht beachtet. Du leidest am Syndrom des schlagartigen Verschwindens („Frappe Disparu“) und brauchst dringend professionelle, psychiatrische Behandlung. Auch die Hilfe eines guten Exorzisten wäre nützlich. In psychonanalytischen Begriffen ausgedrückt stellt das Kissen das unbefruchtete Ei dar. Du bist das gierige Sperma, das das Ei verschlingt, was eine existentielle Krise auslöst. Denn Du, das männliche Sperma, hast Deinen weiblichen Aspekt aufgezehrt, das Ei, das als solches nicht mehr existiert. Eine neue identität kannst Du nur herausbilden, wenn Du diesen Konflikt löst. Unter anderen Aspekten betrachtet, könnte das Marshmellow auch eine körperliche Bedrohung darstellen. Dein natürliches Abwehsrsystem veranlaßt Dich, anzugreifen und das Ding zu verschlingen, bevor es Dich verschlingt. In jedem Fall rate ich Dir, viel Lebertran zu nehmen. Mein aufrichtiges Beileid. Paul McGuiness
– Wahrscheinlich hast Du Dein Kissen aufgegessen. Excelsior (niklaus@taz.de)
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