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DER ÖSTERREICH-BOYKOTT DER EU IST ZUM IRRLÄUFER GEWORDENPolitische Sackgasse

Vier Wochen vor Ende ihrer EU-Präsidentschaft reden sich die Portugiesen um Kopf und Kragen. Was da aus Lissabon zum Thema Österreich-Sanktionen abgesondert wird, könnte widersprüchlicher nicht sein. Am 18. Mai glänzte Europa-Staatssekretär Francisco Seixas da Costa mit der Erkenntnis, die vierzehn aufrechten Regierungschefs befänden sich „in der Sackgasse“. Es gebe aber keinen Anlass, von der Isolationspolitik gegenüber Österreich abzurücken. Fünf Tage später zieht der portugiesische Ministerpräsident Antonio Guterres eine Aufhebung der Sanktionen „in Erwägung“. Ein genaues Datum aber will er nicht nennen. Und die übrigen dreizehn müssten auch noch mitmachen.

Aber die übrigen dreizehn reagieren überwiegend verquast und verlegen, wenn das Thema Österreich-Sanktionen zur Sprache kommt. Und natürlich kommt es ständig zur Sprache. Sollte sich das politische Brüssel wirklich kurzzeitig von Joschka Fischers Europa-Visionen oder der nächsten Erweiterungsrunde vom Thema abbringen lassen – es findet sich sofort ein österreichischer Journalist, der die Gretchenfrage stellt und damit die nächste Spekulationswelle auslöst.

Dabei hatte alles so schön angefangen: In Treue fest hatten Europas gestandene Antifa-Regierungen Ende Januar zusammengefunden, gegen die bräunliche Gefahr aus Wien. Der frisch gebackene EU-Ratspräsident Guterres hatte in seinem Gesellenstück, einer Telefonkette zwischen allen demokratischen EU-Regierungen, die einmalige und in den EU-Verträgen nicht vorgesehene Boykottaktion zu Stande gebracht. Einstimmig. Juristisch wasserdicht machte er sie mit dem kleinen Wörtchen „bilateral“ – so blieben die EU-Verträge außen vor.

Der Rest ist Geschichte. Belgische Schulkinder bringen die Brettln auf den Speicher zurück und packen die Koffer wieder aus. Antifa-Ministerinnen naschen bei ihren Treffen streng bilateral die belgische „Schokolade der Demokratie“. Kanzler Schüssel fliegt ohne Fliege zum Europa-Gipfel, doch beim Familienfoto will trotzdem keiner neben ihm stehen. Belgien kündigt Österreich die militärische Zusammenarbeit auf. Österreich, auch nicht faul, streicht die Überflugrechte für belgische Militärflugzeuge.

Allmählich scheint den europäischen Antifa-Ministern zu dämmern, dass sie gerade Stoff für ein Kapitel im Sammelband „Treppenwitze der Weltgeschichte“ liefern. Joschka Fischers ohnehin gequälte Miene legt sich in weitere sorgenvolle Falten, wenn wieder einer die Österreich-Frage stellt. Dabei hat er doch eigentlich nur mitgemacht, weil gerade Deutschland bei so einer Nazisache nicht abseits stehen kann. Aber er hat sich genauso wenig wie seine Kollegen mit der Frage befasst, wie die Boykott-Blockade aufgelöst werden soll, wenn Kanzler Schüssel wider Erwarten doch nicht am gleichen Tage erschrocken seinen Rücktritt erklärt oder die FPÖ aus der Regierung schmeißt.

Vielleicht sollte man sich grundsätzlich von der Illusion verabschieden, dass Politiker erst denken und dann handeln. Schließlich nennt Joschka Fischer als Auslöser für seine Gedanken über Europas Zukunft auch ganz freimütig den Herbst 1998. Da habe sein französischer Kollege Védrine die Frage gestellt, wie denn ein Europa mit 21 oder 28 Mitgliedsstaaten noch funktionieren solle. Zur Erinnerung: Der Gipfel von Kopenhagen, bei dem Mindeststandards für die Länder festgelegt wurden, die sich um Aufnahme in die EU bewerben wollten, fand 1993 statt. Ein Jahr später, auf dem Gipfel in Essen, wurden bereits konkrete Vorschläge der EU-Kommission zur Erweiterungsstrategie diskutiert.

Es vergingen also sieben Jahre, bis sich die Entscheidungsträger mit den möglichen Konsequenzen ihres Handelns zu beschäftigen begannen. Im Vergleich dazu ist der portugiesische Staatssekretär Francisco Seixas da Costa ein Blitzmerker. Natürlich ist es nur fair, diesen Vergleich mit dem Hinweis einzuschränken, dass weder Védrine noch Fischer bei der Erarbeitung der Kopenhagener Kriterien oder als Teilnehmer am Essener Gipfel in Amt und Würden gewesen sind.

Sollten die Portugiesen aus der von ihnen inszenierten diplomatischen Sackgasse nicht bis Ende Juni herausfinden, liefern sie ihren französischen Nachfolgern den Freibrief frei Haus. Védrine kann sich dann ruhig zurücklehnen und sagen: Den Blödsinn hat mein Vorgänger verzapft.

DANIELA WEINGÄRTNER

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