DER HOLTZBRINCK-KONZERN MACHT POLITIK: Die Genese einer Nachricht
„Mir geht es gut“, hat der Staatsminister noch am Vormittag gesagt, „ich denke nicht an einen Rücktritt.“ Gut geht es Michael Naumann mit Sicherheit, und zwar nicht obwohl, sondern weil er eben doch geht. Geht es Gerhard Schröder auch gut? Wohl weniger. Er bleibt.
Das Dementi aller Dementis kommt um 13.32 Uhr. Nicht von der Bundesregierung, schon gar nicht vom bis zum Abend in Brüssel beschäftigten Bundeskanzler – sondern aus Stuttgart. „Gespräche von Dieter von Holtzbrinck mit dem Staatsminister für Kultur Dr. Michael Naumann über dessen Mitwirkung als Mitherausgeber der Zeit stehen kurz vor dem Abschluss“, lautet die prosaische Mitteilung aus Deutschlands sechstgrößtem Medienkonzern.
Zur gleichen Zeit können sich die Teilnehmer der Bundespressekonferenz in Berlin allerdings noch an einem viel lyrischeren Schauspiel weiden. Denn dort tut die Bundesregierung offiziell immer noch so, als bleibe der Kulturstaatsminister mindestens bis 2014 im Amt. Die stellvertretende Regierungssprecherin Charima Reinhardt hat die dankbare Aufgabe, eine Information zu dementieren, von der sie weiß, dass sie stimmt. Und nicht nur das: Die Regierungssprecherin weiß auch, dass die Journalisten wissen, dass sie weiß, dass die Information stimmt, dass Naumann geht.
Aber Reinhardt beherrscht die hohe Schule des kunstvollen Dementis, das die Wahrheit nicht ausschließt. Frage eines Journalisten: Tritt Naumann als Minister zurück? Antwort: Das Problem besteht darin, dass der Bundeskanzler keine Gelegenheit hatte, mit dem Staatsminister darüber zu reden, da er in Brüssel weilt. Die beiden werden es morgen früh tun und anschließend eine Pressekonferenz geben. – Frage: Warum reden denn beide miteinander? Antwort: Weil sie Gesprächsbedarf haben. – Frage: Warum geben sie denn eine Pressekonferenz? Antwort: Weil sie etwas mitzuteilen haben. – Frage: Sieht Schröder kein Problem darin, innerhalb von einer Woche zwei Minister zu verlieren? Antwort: Im Moment weiß ich nichts davon, dass zwei Minister gehen. – Frage: Würde der Kanzler einen Weggang Naumanns denn bedauern? Antwort: Der Bundeskanzler bedauert immer, wenn ein Minister ausscheidet. – Frage: Fühlen Sie sich als Regierungssprecherin in dieser Angelegenheit gut informiert? Antwort: Ich fühle mich blendend informiert. Morgen früh werden Sie auf dem gleichen Stand sein.
Sagt’s und lächelt vielsagend.
Ein Regiefehler? Mitnichten: Naumann hatte sich selbst entlassen. Und Manfred Bissingers Woche in alter Verbundenheit vorab informiert. Auf deren Exklusivmeldung folgten brav immer dünnere Dementis. Naumann düpiert im Verbund mit Holtzbrinck den zaudernden Kanzler. Und macht so tatsächlich einmal Medienpolitik.
STEFFEN GRIMBERG
JENS KÖNIG
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