DER GIPFEL VON GÖTEBORG ZWINGT ZUM ÜBEREILTEN VERHANDELN: Druck und Gegendruck
Gebt uns ein Datum! Das hatten jahrelang die osteuropäischen Beitrittskandidaten gefordert. Doch jetzt, da der EU-Gipfel von Göteborg dieses Datum tatsächlich genannt hat, zeigt sich: Die Forderung war so lange gut, solange sie nicht erfüllt wurde. Mit ihr konnte man Druck auf die Mitgliedstaaten ausüben. Jetzt steht man selbst unter Druck.
Bestes Beispiel ist Polen. Wie dessen Regierung bis zum Zieldatum 2002 die Verhandlungen abschließen will, weiß wohl nicht einmal sie selbst. Zumal man das schwierigste Kapitel, das der Agrarpolitik, erst ab Mitte 2002 verhandeln kann – wenn sich die EU selbst an die Reform ihrer Agrarpolitik macht. Wenn Polen aber nicht aus der Gruppe der mitteleuropäischen Nachbarstaaten „herausfallen“ will, und das will es mit Sicherheit nicht, muss die bisherige Verhandlungsstrategie aufgegeben werden. Nicht mehr langsam und gründlich, sondern schnell und oberflächlich wird es nun weitergehen. In wie vielen Punkten wird man sich da wohl den Forderungen Brüssels beugen?
Doch auch die EU selbst hat sich mit der Nennung eines Erweiterungsdatums unter unnötigen Druck gesetzt. Druck, der auch durch noch so viele Bedingungen, die Kanzler Schröder mit dem Beitritt verbindet, nicht wirklich verringert wird. Beispiel Zypern: Dem Land kann eine Aufnahme in der ersten Gruppe kaum verweigert werden. In wenigen Monaten muss Brüssel nun also eine Antwort auf den zukünftigen Status der geteilten Insel finden – ein Problem, an dem die UNO seit vielen Jahren immer wieder scheitert. Zudem gilt: Wenn die EU 2004 nur drei oder vier Staaten der 12 Kandidaten aufnimmt, wird ihr das nicht gerade als Erfolg angerechnet werden. Auch Brüssel wird sich also zu oberflächlichen Verhandlungen verleiten lassen. Unzählige Übergangsfristen, das wird eine Spätfolge des Göteborger Gipfels sein.
Neben den Erweiterungsverhandlungen hat die Union sich für die kommenden zwei Jahre aber noch eine ganz andere Aufgabe gesetzt. Sie will sich bis 2004 reformieren und sich eine eigene Verfassung geben. Nicht gerade viel Zeit. Der Countdown läuft nun unaufhaltsam. SABINE HERRE
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