DER BUNDESTAG STIMMT HAACKES KUNSTWERK „DER BEVÖLKERUNG“ ZU: Ästhetischer Vertrag
Der Bundestag vertritt die Interessen der Bevölkerung. Auch in Sachen Kunst und Kultur. Am Mittwochabend hat er deshalb über ein Kunst-am-Bau-Projekt von Hans Haacke abgestimmt, bei dem die Abgeordneten mitmachen und in Berlin ein Beet mit Erde aus ihrem Wahlkreis füllen können, auf dem Haacke die Neoninschrift „Der Bevölkerung“ installieren will. So schließt sich der Kreis: Der abstrakte Vertrag mit der Bevölkerung wird nun auch künstlerisch eingelöst – und damit sichtbar. Das Kunstwerk steht symbolisch für alle Menschen, die in Deutschland leben. „Der Bevölkerung“ besiegelt ästhetisch ein Verhältnis zum Staat, dem auch die Abgeordneten folgen, als Stellvertreter für die Menschen in ihren Wahlkreisen. Keine Politik kann heute noch beanspruchen, allein für Deutsche gemacht zu werden. Dafür sind die Staaten in Europa zu sehr miteinander verzahnt. Man ist auf größere, globale Gemeinschaften angewiesen, die Haackes Kunstwerk thematisiert. Die doppelte Staatsbürgerschaft muss nun folgen.
Die Entscheidung für Haacke macht aber auch zwei Grundprinzipien der Demokratie deutlich. Zum einen hat der Bundestag die Freiheit der Kunst anerkannt, die ihr laut Grundgesetz ohnehin zusteht. Zum anderen wurde nachträglich noch einmal dem zugestimmt, was der vom Bundestag eingesetzte Kunstbeirat mit Fachleuten als ausstellungswürdig ausgewählt hat. Das zeugt von einem hohen Vertrauen ebenso in die Sachkenntnis der Berufenen als auch in die Arbeit von Gremien, ohne die ein vernünftiger parlamentarischer Diskurs der Unübersichtlichkeit verfallen würde. So wie bei den Beratungen des Beirats eben nicht über Geschmack, sondern über Inhalte gestritten wurde, ist auch das abschließende Urteil vom Mittwoch Ausdruck einer Willensbildung ohne das Kalkül einzelner Interessen. Dass musste auch Haackes Gegner, der kulturpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Lammert, anerkennen, der dem Künstler unterstellt hatte, er wolle mit seinem Projekt die Politiker „lächerlich machen“. Lächerlich ist allein die Vorstellung, man könne der politischen Brisanz von Kunst entgehen, indem man sie sich nach dem eigenen Weltbild zurechtstutzt.
HARALD FRICKE
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