DER BUNDESPRÄSIDENT SPRICHT MIT DEN USA „EUROPÄISCH“: Rau weist auf einen Riss
Hat der Bundespräsident nicht deutsch gesprochen, sondern rot-grün? Hat er bei seiner dritten Berliner Rede mehr Werbung gemacht für die Anliegen der Koalition, als einem Präsidenten zusteht? Wenn Johannes Rau spricht, folgt dieser Vorwurf so sicher wie die Eierwürfe, wenn Edmund Stoiber sich auf den Berliner Alexanderplatz wagt. Oskar Lafontaine ist wieder da, meinten manche Zuhörer, als der Exsozi Rau nach Instrumenten für eine internationale Finanzmarktordnung verlangte. Doch der Präsident hat eine exotischere Sprache ausprobiert, als es selbst der rot-grüne Koalitionsjargon ist. Eine Woche vor dem Besuch des obersten Amerikaners George W. Bush in Berlin hat Johannes Rau Europäisch geübt.
Auf Raus langer Liste für eine reformierte Globalisierung findet sich wenig, was den USA der zweiten Bush-Ära gefallen wird: Die Vereinten Nationen sind mehr als der Weltsicherheitsrat, meint der Deutsche – das sieht der US-Präsident genau umgekehrt. Rau fordert mehr Gewicht für die Entwicklungsländer in internationalen Organisationen – Bush befürchtet, IWF und Weltbank würden in diesem Fall zu Softies werden. Der deutsche Wunsch nach mehr weltweiten Schiedsstellen ist den USA ein Graus, während Rau den Rückzug der Amerikaner aus dem Internationalen Strafgerichtshof kritisiert – und bei Bushs Besuch in Berlin zum Thema machen will.
So gering die Übereinstimmung zwischen den zwei Präsidenten ausfällt, so einig kann Rau sich mit vielen Europäern fühlen. Was er formuliert hat, ist auch ihre Kritik an einer Globalisierung, die viele als US-dominiert erleben. Gegen die amerikanische Perspektive vom Markt, der die Freiheit bringt, setzt Rau das kontinentaleuropäische Credo: Kein Mensch ist allein dadurch frei, dass er am Markt teilnehmen kann. Ungleichheit schafft Not, meint der Deutsche – Ungleichheit schafft Wettbewerb, mag Bush ihm dann entgegenhalten. Deutlicher als Außenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder zeigt der Bundespräsident damit, was Europäer und US-Amerikaner derzeit trennt – ein Riss im angeblich so fest gefügten Wertefundament. Ideen fürs Kitten kann dann ja die nächste Berliner Rede bringen. PATRIK SCHWARZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen