: DENKPAUSE EINGELEGT
■ AG "Tourismus mit Einsicht" aufgelöst
AG „Tourismus mit Einsicht“ aufgelöst
VONEDITHKRESTA
Die tourismuskritische Arbeitsgemeinschaft „Tourismus mit Einsicht“ (TME), ein Verbund von 28 internationalen Organisationen, hat sich aufgelöst. Sie hatte ihr Forum vor allem auf der jährlich in Berlin stattfindenden Internationalen Tourismusbörse (ITB). Die Arbeitsgemeinschaft wurde 1986 gegründet und warb mit einem Stand in den Berliner Messehallen auf der weltgrößten Tourismusshow für einen „einsichtigen“, d.h. sozial- und umweltverträglichem Tourismus.
Der Antritt der einsichtigen Kritiker löste anfangs ein heftiges Medienecho aus. Ihre kritischen Statements belebten nachhaltig die Messeberichterstattung und rührten am unterschwelligen Unwohlsein gegenüber dem touristischen Massengeschäft. Doch den anfänglichen Erfolgen steht die Arbeitsgemeinschaft in ihrer Pressemitteilung nun selbst kritisch gegenüber: „Mit der wachsenden Popularität wuchs auch die Gefahr, Opfer des eigenen Erfolgs zu werden, zu einer klar strukturierten Organisation zu verkommen, berechenbar und durchschaubar zu werden. Kommt hinzu, daß in der Zwischenzeit ein ansehnlicher Teil der Zielgruppen, insbesondere der Touristiker, verbal die Anliegen der Tourismuskritiker übernommen haben. Leitbilder und Presseäußerungen vermitteln oberflächlich einen aufgeschlossenen Eindruck. Die Umwelt- und Sozialverträglichkeit ist in aller Munde. Die Zukunft wird weisen, wo ein echter Kurswechsel eingeleitet wurde und was als bloße Sprechblase zerplatzt.“
Aufgrund dieser Situation — der Vereinnahmung als kritisches Feigenblatt in einer gutgeschmierten Touristikmaschinerie — hat sich die Arbeitsgemeinschaft in Klausur begeben. Eine „Denkpause“, um „befreit eine neue Plattform schaffen zu können“. Die einzelnen Mitgliedsorganisationen wollen jedoch am Thema bleiben und auch in der Zwischenzeit „Fehlentwicklungen schonungslos aufdecken“.
Der Schritt der Arbeitsgruppe ist eine konsequente Reaktion auf ihre ausgehobelte Bedeutung. Denn längst setzt man auch in den Chefetagen auf ökologisches Umdenken, fordern Politiker einsichtige Touristen. Manager heften sich sanfte Kritik und Modelle gut sichtbar ans Revers, und das lukrative Aktionsfeld Messe reduzierte den kritischen Geist letztlich auf das angepaßte, leistbare Mindestmaß: den vorbildlichen Verhaltenskodex für den weltoffenen und toleranten deutschen Touristen. Unliebsame Fragen, beispielsweise nach der Enthaltsamkeit von Politikern gegenüber touristischen Entwicklungen oder nach unkontrollierten Auswüchsen des big business, wurde von den einsichtigen Kritikern zugunsten pragmatischer Aktionsmodelle vernachlässigt.
Diese pragmatischen Modelle — vom recycelten Clopapier bis zur angepaßten Bauweise -sind inzwischen allgemein akzeptierter Grundkonsens in der touristischen Diskussion, auch wenn die Inhalte nicht immer erfüllt werden. Mit ein Verdienst der Kritiker, doch die wirklich spannenden Diskussionsthemen zu Umwelt und Politik im Freizeitbereich besetzten auf der Messe inzwischen Reisekonzerne wie TUI oder andere europaweiten Institutionen. Die sanfte Kritik plätscherte im großen Getriebe kaum bemerkt mit. Die Entscheidung der Arbeitsgemeinschaft ist daher eine klare Einsicht in die mittlerweile offensichtliche Wirkungslosigkeit. Bleibt nur zu hoffen, daß die Kritik am Tourismus, trotz Denkpause ihrer nachhaltigsten Verfechter, nicht ganz ohne streitbare Lobby und Öffentlichkeit bleibt. Wir jedenfalls sind auf innovative Denkergebnisse gespannt.
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