DEN HAAG 1: MILOŠEVIĆ’ VERTEIDIGUNG WIRD KEINEN ERFOLG HABEN: Nicht allmächtig, aber verantwortlich
Ist Slobodan Milošević bei seiner ersten Rede vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal mit 1:0 in Führung gegangen, wie Roland Hofwiler gestern an dieser Stelle schrieb? Sicher nicht. Wer nicht auf Demagogie hereinfällt, erkennt, dass die Verteidigung des Expräsidenten auf einer Sichtweise basiert, die als „System Milošević“ lange bekannt ist.
So behauptet Milošević, das alte Jugoslawien sei von außen zerstört worden. Tatsächlich blockierte er selbst als serbischer Präsident 1989/90 alle demokratischen Reformen und machte so jeden Kompromiss zum Erhalt des gemeinsamen Staates unmöglich. Mit dem Krieg in Kroatien will Milošević nichts zu tun haben. Warum rollten dann 1991 Panzer aus dem serbischen Belgrad ins kroatische Vukovar? In Bosnien und Herzegowina soll laut Milošević ein Bürgerkrieg getobt haben. Doch das Tribunal wird nachweisen, dass die bosnisch-serbische Armee nicht nur von Belgrad ausgerüstet, sondern auch von dort aus kommandiert wurde. Mit den Massakern im Kosovo will der nur für den Frieden arbeitende Unschuldsengel Milošević nichts zu tun haben. Wie schwach muss die Position des Expräsidenten sein, wenn er einen höchst umstrittenen deutschen Fernsehfilm oder den Ex-OSZE-Mitarbeiter Heinz Loquai als Kronzeugen braucht, der niemals selbst im Kosovo war?
Nein, diese Verteidigung ist kein 1:0 für den Angeklagten. Denn dass Milošević’ Armee schon 1998 ganze Landstriche im Kosovo verwüstet hat, wird durch die über 90 Zeugen, die das Tribunal geladen hat, ohne Probleme bewiesen werden. Spannender war Milošević’ Aussage, er sei auch als Präsident nicht allmächtig gewesen. In der Tat, „Slobo“ brauchte nicht immer direkte Befehle zu geben. Sein System war nicht unbedingt autoritär, es beruhte auf einer politisch-ideologischen Übereinstimmung mit einem großen Teil der serbischen Bevölkerung. Deshalb reichte es etwa in Bosnien völlig aus, den serbischen Freischärlern freie Hand zu geben, um die Vertreibung von 1,5 Millionen Menschen durchzusetzen. Milošević & Co. gaben nur den politischen Rahmen für Mord und Vertreibung vor, die Schmutzarbeit besorgten andere – im sicheren Wissen, keine Strafe fürchten zu müssen.
Dieses System wird dem Tribunal in der Tat Kopfzerbrechen bereiten. Denn nach dem angelsächsischen Recht, das das Gericht bisher anwendet, muss dem Angeklagten eine individuelle Schuld nachgewiesen werden. Das Tribunal ist daher gezwungen, zu jedem einzelnen Anklagepunkt Zeugen aufzurufen. Dabei ist jetzt bereits klar, wer die politische Verantwortung für das trägt, was geschehen ist: Slobodan Milošević. ERICH RATHFELDER
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