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DEBATTEAmerika, Europa und die Deutschen

■ Überlegungen nach dem Krieg

Kuwait brennt, der Emir ist wieder da, und Saddam regiert weiter. Der Krieg am Golf ist vorbei, ein Friede, der mehr meint als das Schweigen der Waffen, nicht in Sicht. Wenn der Rauch nicht nur über den Schlachtfeldern, sondern auch über der Zensur und in den Köpfen der „Bellizisten“ verzogen ist, werden sie uns sicherlich auch ex post erklären, daß dieser Krieg gerecht und verhältnismäßig war und welche Probleme der Region er gelöst hat.

Auch im Rückblick und, dies vor allem, im Blick auf die Zukunft gab und gibt es gute Gründe für die Deutschen, nicht in vorderster Front mit- und aufzumarschieren. Diese Gründe erwachsen aus dem neuen politischen Charakter der Deutschen, aus dem Zerfall der Nachkriegsordnung in Europa und vor allem aus der Struktur der „Neuen Weltordnung“, die zu denken und zu gestalten Deutsche und Europäer nicht den Amerikanern überlassen können. Es ist an der Zeit, daß sie sich endlich gelassen und selbstbewußt hier einmischen.

Zu kritiseren war also weniger die deutsche (Zurück-)Haltung während des Golfkrieges, als die Art und Weise, wie die Deutschen da von außen und innen vorgeführt wurden und wie sie darauf reagiert haben: bald irritiert und beleidigt, bald bemüht und beflissen, devot um Verständnis bittend — von Gelassenheit und Selbstbewußtsein keine Spur.

Was der Deutschen Nachbarn irritiert, das sollte sie recht eigentlich beruhigen. Von diesen Deutschen haben sie nichts zu befürchten.

So leben sie diesen Zeitenbruch aus: widersprüchlich, ratlos und ohne nationalistische Prothesen im Kopfe, immer aber auch stellvertretend für die anderen. Denn der Krieg am Golf hat nur kurz verdrängt, was längst auf der Agenda der nationalen und internationalen Politik steht — und natürlich umstritten ist: die neue Weltordnung und die veränderten Rollen Amerikas und Europas in der kommenden Welt.

Der Krieg am Golf hat auf eine gespenstische Weise viel eher die Götterdämmerung einer alten, nämlich der amerikanischen Welt illuminiert denn das Heraufziehen einer neuen Ordnung verkündet. Was in dieser historischen Lage an Irritationen und Aufregungen über die Deutschen vermeldet wurde und wird, gewinnt Sinn und Bedeutung im Kontext der Struktur der Nachkriegsordnung, die aber gerade von Tag zu Tag obsoleter wird.

Es ist wahr: Europa und insbesondere die Deutschen haben Amerika viel zu verdanken: von der Befreiung 1945 bis zur Vereinigung 1990. Und wahr ist auch: Sie haben ihre Filmhelden bewundert und ihre Fernsehserien verfolgt; ihre Coca Cola getrunken und auch ihr Fast Food über sich ergehen lassen.

Dem Imperialismus der amerikanischen Alltagskultur hatten die Deutschen, vor allem sie, wenig, zu wenig, entgegenzusetzen. Vielleicht war es auch gar nicht möglich. Zu mächtig, zu übermächtig war der amerikanische Traum auch in deutscher Perspektive, Symbol für Fortschritt, Moderne, altmodisch formuliert: für das gute Leben, im philosophischen, nicht nur im konsumistischen Sinne.

Die Fairness gebietet festzuhalten: Es waren nicht nur Traum und Hybris der Amerikaner, ihr Glaube, daß sie Gottes auserwähltes Volk seien, daß in den USA die Geschichte zu ihrer Erfüllung gelange, sondern es waren auch Attributionen und Hoffnungen sehr vieler in der ganzen Welt.

Damit ist es nun, so scheint es, gründlich vorbei. Erschüttert wurde dieser amerikanische Glaube und dieser Glaube an Amerika bereits im Vietnamkrieg, und er wird auch in der Wüste Arabiens nicht wieder zu neuem Leben erweckt werden.

Auch und gerade der souveräne militärische Sieg wird die Ressentiments gegen die USA, diese fremde und übermächtige Kultur, nur und in bisher unvorstellbarem Ausmaße entfachen. Die „Unruhen“ im Irak und die Kämpfe der Schiiten, die im Iran einzudämmen die USA ja gerade noch vor kurzem den Irak Saddam Husseins aufgerüstet haben, zeigen nicht nur das politische Scheitern der amerikanischen Nahost-Poltik, sondern auch die Grenzen klassischer, vor allem militärischer Methoden und Strategien in der Außenpoltik. Panzer können Land (zurück-) gewinnen, nicht aber die Herzen der Menschen. Geld und Güter befriedigen Konsumwünsche, nicht aber die Sehnsucht der Völker nach nationaler Würde und eigenständiger Entwicklung.

Mit Antiamerikanismus hat das alles nichts zu tun, so wenig der Hinweis auf die eher bescheidene weltpolitische Rolle Europas in den vergangenen Jahrzehnten etwas mit Antieuropäismus zu tun hatte. Und schließlich waren es ja auch nicht Deutsche und nicht Europäer, die die Formel vom „Ende des amerikanischen Jahrhunderts“ geprägt haben, und diese Formel meint ja das Auslaufen der weltpolitischen Vormacht und das Scheitern eines gesellschaftlichen Modells.

„Die politische Atmosphäre der USA ist von Ideen durchsetzt, die ausgebrannt sind wie erkaltete Sterne“, so William Pfaff, der in seinem brillanten Buch Die Gefühle der Barbaren die amerikanische politische Philosophie analysiert und kritisert hat.

Ein guter Einstieg für Europäer in Bushs „Neue Weltordnung“ wäre es, amerikanische Präsidenten einfach beim Wort zu nehmen: Partnerschaft setzt voraus, daß man sich auf gleicher Höhe in die Augen blicken kann, und Partnerschaft erlaubt, ja erfordert die Anerkenntnis von Differenz, von Unterschieden.

Es ist einigermaßen albern zu glauben, die Beziehungen zwischen Staaten, Regionen und Kontinenten auf die Abwesenheit von Konflikten, auf ein vorgängiges Einverständnis, auf eine Identität nicht nur der Interessen, sondern auch der Weltbilder, kurz: auf eine „gemeinsame Sache“ (Bush) gründen zu können. Schon der Versuch dazu wird die internationalen Beziehungen schwer belasten, andere Völker und Kulturen demütigen, Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse begründen, zu Spannungen und Kriegen führen.

Ebenso könnte man aber die Geschichte der amerikanischen Außenpolitik auch anders lesen, als Versuch nämlich, „die Nationen und die Staatengemeinschaft so (zu) verändern, daß sie für die Amerikaner akzeptabler werden“ (Pfaff). Revision der europäisch-amerikanischen Beziehungen: Das klingt weniger dramatisch, wenn man bedenkt, daß Europäer und Amerikaner 1945 bis 1990 in einer historischen Ausnahmesituation lebten. Vor allem in der ersten Hälfte dieser Epoche fiel es in Eurpoa nicht auf, daß die Perspektiven und Strategien der amerikanischen Außenpolitik sich durchgängig durch ihre Unfähigkeit auszeichnen, auf die kulturellen, religiösen und politisch-psychologischen Fundamente anderer Völker Rücksicht zu nehmen.

Die „Gefühle der Barbaren“ gehen selten ein in die Rechnungen der amerikanischen Außenpolitik, und dies ist der Grund, warum sie so oft so grandios scheitert: in Kuba und in Mittelamerika, in Vietnam und vermutlich, auf längere Sicht betrachtet, auch im Nahen Osten.

Angesagt sind also eine neue Definition der europäisch-amerikanischen Beziehungen und die Suche nach einer Weltordnung, aber nicht nach amerikanischem Bild und Gleichnis. Die Neue Weltordnung wird keine „Ordnung“ im strengen Sinne sein können, von Amerikanern ausgedacht und durchgesetzt, sondern viel eher ein „Modus vivendi der untereinander Uneinigen“, um eine schöne Phrase Theodor Geigers von der Demokratie auf die ganze Welt zu übertragen.

„Modus vivendi“ in des Wortes zweifacher Bedeutung: im üblichen Sinne des Untereinander-Auskommens, der friedlichen Koexistenz, des Sich-Arrangierens auf dem (einen) Planeten Erde; „Modus vivendi“ aber auch im wörtlichen, im existentiellen Sinne: als Weise des Lebens und Überlebens von Menschen, Stämmen und Völkern in eigener Würde, selbst gewählter Entwicklung, nicht von fremden Mächten unterworfen oder ausgerottet. Viele bunte Welten auf der einen Erde.

Europa wird in dieser Welt eine besondere Rolle spielen. Zu der wirtschaftlichen Macht wird gewiß die politische Union und dann auch ein eigenständiges militärisches Potential, eine europäische Verteidigungs- und Sicherheitsgemeinschaft kommen und kommen müssen. Aber der politische Einfluß Europas in der künftigen Welt wird nicht primär auf seiner wirtschaftlichen und/oder militärischen Macht gründen. Es ist gut, wenn beides vorhanden ist, aber es ist auch gut zu wissen, daß nicht alles mit Geld käuflich oder mit (Waffen-)Gewalt zu sichern ist. Banausen nannten übrigens die Griechen jene, die Politik mit Wirtschaft verwechselten. Es gibt auch Banausen in der Außenpolitik.

Der europäische Einfluß in der Welt könnte gründen in Europas Ahnung von kultureller und religiöser Tradition und Vielfalt, in dem Wissen darum, daß Völker und Staaten Geschichte haben und in der nach Kreuzzügen und Religionskriegen entstandenen Toleranz und Aufklärung.

Europa hat damit Erfahrung. Bewaffnete Heilslehren kennt es nicht erst seit dem islamischen Fundamentalismus des Ayatollah Khomenei, sondern aus der eigenen „christlichen“ Geschichte.

Eingrenzen des Fundamentalismus setzt voraus, daß man andere als Bread-and-Butter-Probleme als legitim anerkennt — und daß man selbst keine missionarische Außenpolitik betreibt. Beides trifft auf Europa zu, nicht aber auf die Vereinigten Staaten von Amerika, und dies ist einer der Gründe für das europäische Jahrhundert ...

Die Mission Europas für das 21. Jahrhundert besteht darin, keine inhaltlich definierte Mission zu haben, keine missionarische Außenpolitik zu betreiben, sondern Entwicklungen möglich zu machen, Chancen zu eröffnen, Not und Elend zu beseitigen. Die Welt muß nicht werden wie Europa — und für Europa gibt es in der Welt Wege und Optionen zwischen moralischer Gleichgültigkeit und kultureller Gleichschaltung. Warnfried Dettling

Warnfried Dettling, 47, CDU-Mitglied seit 1970, von 1973 bis 1981 zunächst Leiter der Planungsgruppe, danach der Hauptabteilung Politik in der CDU-Bundesgeschäftsstelle, 1983 mit Heiner Geißler Wechsel ins Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, dort zuletzt Abteilungsleiter. Dettling wurde im Februar 1991 in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

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