DEBATTE: Das erste Pogrom
■ Was sich in Hoyerswerda abgespielt hat, ist eine schlimme Niederlage der Demokratie in der Bundesrepublik/ Die Politik droht zu versagen
Nachdem der Pöbel von Hoyerswerda und seine Claque, offensichtlich eine konsistente Bevölkerungsmehrheit, voller Zufriedenheit registrieren konnten, wie ihre Stadt ausländerfrei gemacht wurde, gilt es, ganz nüchtern zunächst einige Dinge zu konstatieren.
1.Die Verlegung der ausländischen Bewohner in Hoyerswerda in andere Orte auf Druck der „Deutschland-den-Deutschen“-Schreier und ihrer beifallklatschenden Sympathisanten stellt eine schlimme Niederlage der Demokratie in der Bundesrepublik dar.
Was sich dort abgespielt hat, das ähnelte nicht einem Pogrom, das war eines: das erste in der Geschichte der Bundesrepublik. Das ist die ganze und traurige Wahrheit.
Grundlegende Rechtsgarantien werden mit Füßen getreten
2.Die Politik, jedweder Couleur, und auch die berühmten gesellschaftlichen Gruppierungen, allen voran die Pastoren, von isolierten einzelnen abgesehen, haben angesichts dieser Herausforderung der Demokratie versagt. Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob zu viele oder zu wenige Ausländer in der BRD leben, ob es Mißbrauch des Asylrechts gibt und ob man etwas dagegen tun soll oder nicht, es geht um den einfachen Tatbestand, daß ein völkischer Mob und eine ebenso völkische „schweigende“ (und nicht nur das) Mehrheit, grundlegende Rechtsgarantien ungestraft mit Füßen treten können. Das fängt bei der Ordnungsmacht an.
Das Nichtstun der Polizei in der ehemaligen DDR erfüllt den Tatbestand amtlicher Mittäterschaft. Einfache Polizisten wie Einsatzleiter dürfen lachend in die Kamera sagen, bei ihrem miesen Lohn könne man nicht erwarten, daß sie eingriffen. Solange die Politik — vor allem die Länderregierungen im Osten — diesen Sumpf von Sympathisantentum und Mittun nicht mit Hilfe von Disziplinarverfahren etc. trockenlegt, wird sich daran nichts ändern.
Bis das geschehen ist, müssen eben westdeutsche Polizisten und zur Not der Bundesgrenzschutz (vielleicht ist es ja doch noch mal zu etwas nütze, daß der nicht aufgelöst wurde) die Einhaltung und Geltung des Grundgesetzes durchsetzen.
Der Logik des Pogroms folgt die Logik des Ghettos
Zu den lokalen und regionalen Politikern fällt einem eigentlich schon gar nichts mehr ein. Wenn ein Kurt Biedenkopf und all die anderen nicht begreifen, daß Populismus — bei aller Toleranz — dort aufhören muß, wo die Demokratie und die Menschenrechte selbst Mehrheitsmeinungen geopfert werden, dann haben sie aufgehört, Vertreter einer demokratischen Ordnung zu sein.
Gleiches gilt für die Vertreter der hochgerühmten evangelischen Kirche der DDR. Wo ist er denn, unser Bischof Gottfried Forck, der sich nicht genug beeilen konnte, in Bonn bei der Demonstration gegen den Golfkrieg seinen Antiamerikanismus abzusondern, jetzt, wo es um die Menschenrechte hier geht? Feige und keine Zivilcourage, das sind die einzigen Attribute, mit denen man das Verhalten der öffentlichen Personen in Hoyerswerda, Sachsen, und nicht nur dort, belegen kann.
3.Abgesehen von ihrem fatalen öffentlichen Fehlverhalten weisen auch die praktischen und funktionalen Reaktionen der Politiker, auf die Frage nach den Gründen und danach, was jetzt zu tun sei, in eine ganz verkehrte Richtung. Auf die Logik des Pogroms reagiert Sachsens Innenminister Rudolf Krause — in gewisser Hinsicht folgerichtig — mit der Logik des Ghettos. Er will jetzt latteneingezäunte Ausländerwohngebiete schaffen — anstatt sich die Frage zu stellen, ob man nicht vielleicht die Sachsen einzäunen sollte, bis sie es lernen, sich demokratisch zu benehmen.
Die sozialarbeiterischen Besserungsstrategien gipfeln in dem geradezu grotesken Vorschlag von Angela Merkel, Hoyerswerda und den anderen kritischen Gebieten jetzt Extra-Millionen für Lehrstellenbeschaffungsprogramme rüberzuschieben: ein Preis pro vertriebenen Ausländer. Kopfgeld hat man das früher im Wilden Westen genannt.
Der „häßliche Deutsche“ als Vorlage gemeinsamer Politik
4.Es besteht ein offenkundiger Abgrund, was die demokratischen Sitten angeht, zwischen der alten Bundesrepublik und dem Beitrittsgebiet im Osten. Dieser Bruch läßt sich auch nicht durch das dümmliche Gerede wegwischen, im Westen herrsche doch strukturell dieselbe Ausländerfeindlichkeit wie im Osten. So im Hessischen Rundfunk der Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen, Werner Schulz.
Wer so spricht, der möchte, wohl zur Entlastung und Entschuldigung, etwas herbeireden, was in dieser Form einfach nicht stimmt. Noch leben in einer Stadt wie Frankfurt am Main bei allen unbestrittenen Problemen, grob gesagt ein Viertel Ausländer und drei Viertel Deutsche relativ gesittet und zivil zusammen. Und auch in Saarlouis oder Germersheim ist bisher nichts von einem Pöbel bekannt, der sich am hellichten Tag und unter Beifall der Mehrheit auf Ausländerhatz begibt.
Noch sind die Anschläge auf Wohnheime im Westen feige Taten aus dem Hinterhalt. Von einzelnen oder Gruppen, die aber natürlich Mut schöpfen dürfen daraus, wie erfolgreich sie im Osten operieren. Das Problem steckt im „noch“. Wie Elisabeth Kahane, Ex-Ausländerbeauftragte in Ost-Berlin sagte, es ist nicht ausgemacht, ob nun die Alt-BRD das Beitrittsgebiet demokratisiert oder ob nicht umgekehrt der Osten die gesamte Bundesrepublik mit seinem endemischen völkischen Nationalismus verseucht.
Reden wie die von Werner Schulz lassen sich beliebig verlängern über den so hochgelobten Wolfgang Thierse bis hin zu Wolfgang Ullmann oder auch dem einen oder anderen enttäuschten Realsozialisten im Westen, die sich noch immer nicht mit dem Sieg der Demokratie in der alten BRD abgefunden haben. Mehr oder weniger feinsinnig argumentieren sie gegen den „Besser- Wessi“ an, versuchen — linksgestrickt in Opposition gegen die demokratischen Institutionen — das Gemeinsame, hier den einheitlich „häßlichen Deutschen“, zu betonen; und liefern sozusagen die Vorlage zu einer Politik, der die „innere Einheit“ der Deutschen so offensichtlich über alles (andere) geht. Aber das ist nur Wasser auf die Mühlen jener, die längst schon wieder in Termini der Volksgemeinschaft denken.
Das Grundgesetz muß vor dem völkischen Pöbel geschützt werden
Was tun? Die demokratische Öffentlichkeit in der Alt-Bundesrepublik muß zeigen, daß sie nicht bereit ist, den Mantel brüderlicher Nächstenliebe über die Volksgenossen im Osten zu breiten. Jawohl, es gilt den „Ossis“ klarzumachen, daß wir im Westen sie als Volksgenossen nicht wollen. Als Partner in einer Demokratie ja. Aber wie man sieht, erfordert das Umerziehung im Osten — und die ist nur möglich, wenn man an dem Bruch festhält, der die unterschiedlichen Qualitäten demokratischer Tradition in Ost und West bezeichnet. Es gilt das Grundgesetz zu schützen — vor jenem völkischen Pöbel und vor jenen sanften Verschlimmbesserern, die meinen, durch eine neue Verfassung würde erst Demokratie hergestellt werden können: Das Beitrittsgebiet im Osten ist — wie nunmehr niemand leugnen kann — ein Problem demokratischer Zivilisierung.
Und die kann nur erfolgreich sein, wenn sie von einer entschiedenen Parteinahme für Grundrechte und Demokratie aus erfolgt — eben so, wie sie — trotz aller möglicher Kritik — im Grundgesetz festgeschrieben und 40 Jahre lang auch recht erfolgreich praktiziert wurde.
Das Schlimme an Hoyerswerda ist auch, daß es die alten Bilder neu belebte: Die „guten Deutschen“, die mittaten oder Beifall klatschten oder stumm hinter ihren Vorhängen aus dem Fenster schauten und bei sich dachten, irgend etwas wird schon dran sein, als die Nazis die Pogrome gegen die jüdischen Einrichtungen und Bürger verübten. Und mit dieser aufgefrischten Erinnerung kommen eben auch die alten Erklärungsmuster und Reaktionsweisen. Es wird schwieriger werden, die Auseinandersetzung mit dem völkischen Rassismus und Nationalismus aus den hilflosen und sterilen Schemata des „Der Schoß ist fruchtbar noch...“ etc. pp. herauszubekommen. Die alten Schemata aber, so fürchte ich, werden auch nur die alten Niederlagen produzieren.
Die Konsequenz für Hoyerswerda: Kürzung der Mittel
Was aber dann? Diejenigen, die das Hohelied von der Überwindung der Teilung durch Teilen sangen und singen — und damit den schnellstmöglichen Zugang zu den „Terminals des Wohlstands“ meinen, selbst aber zum Teilen absolut nicht bereit sind, verwirken ihr Recht auf Zuwendung. Für Kommunen, die ihre Aufgaben so wenig erfüllen wollen/können, wie Hoyerswerda, muß die Kürzung der Mittel die Konsequenz sein. Vielleicht kann man hier ja aus Italien lernen: Dort gibt es die Möglichkeit, bei eklatanten Verletzungen der Rechtsnormen, Stichwort Mafia, die kommunale Selbstverwaltung aufzuheben und eine durch das Bundesgericht kontrollierte Direktverwaltung durch einen Regierungsbeauftragten einzusetzen.
Gewiß, Zivilcourage der Demokraten kann man nicht einklagen, aber sie ist vorhanden, wie die sehr einmütige Haltung der Presse und der Medien zeigt. Es gab auch auf konservativer Seite praktisch niemanden, der das Pogrom zum Anlaß nahm, die Asyldebatte zu befeuern. Vielleicht sollte die Politik — unabhängig von den divergierenden Ansichten in der Sache — die Asylrechtsdebatte einfach ein paar Monate liegen lassen, damit sich die Lage entspannen kann und um ein Zeichen zu setzen: daß die Vertreter demokratischer Parteien um keinen Preis dem Mob nachgeben werden.
Daß es auch anders geht, beweist die — ausgesprochen konservative Schweiz. Die hat, mit fast 20 Prozent ständiger ausländischer Wohnbevölkerung, aufs ganze Land gerechnet, denn höchsten Ausländeranteil in Europa. Und doch antwortet die Mehrheit der Schweizer — laut Umfrage — sie empfinde das Zusammenleben mit Ausländern als Bereicherung.
Wenn denn Sachsen reinrassig deutsch sein will — was immer das heißen mag —, dann sollten wir ihm doch einfach den Namen Deutschland verkaufen, seine Abtrennung von der durchrassten Rest-BRD organisieren und uns schlicht als Bundesrepublik den Aufgaben des zusammenwachsenden Europas zuwenden. Ulrich Hausmann
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