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DEBATTEDie spinnen, die Deutschen

■ Es ist schon seltsam, als Jüdin andauernd um Absolution gebeten zu werden

Vor einigen Jahren schaute ich mir im Rahmen der Berliner Filmfestspiele einen israelischen Film an. Er handelte davon, wie ehemalige Berliner, die den Holocaust überlebt hatten, in Israel mit ihren Erfahrungen und Erinnerungen zurechtkommen. Anschließend stellte sich die Regisseurin einer Diskussion. Mehrfach wurde sie von aufgeregten Zuschauern gefragt, warum der Film nichts über die Schwierigkeiten mit der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland aussagt? Einem israelischen Film, dessen Thema eigentlich kaum mit Deutschland zu tun hatte, wurde vorgeworfen, er widme sich nicht diesem Land. Zum Glück gab es auch ein paar Juden im Saal. Die Nabelschau konnte verhindert werden. Damit ist auch meine Frage schon zum Teil beantwortet. Juden sind in Deutschland dazu gut, die Deutschen daran zu erinnern, daß das Thema »Jude« auch ein bißchen was mit Juden zu tun hat, und nicht ausschließlich eine Frage der deutschen Vergangenheitsbewältigung ist — eine Erkenntnis, die gar nicht so selbstverständlich ist.

Man könnte sagen, Juden — wie Ausländer auch — zwingen die Deutschen dazu, weniger abstrakt und weniger einfach zu denken. Man wird mit der Realität konfrontiert. Während des Golfkrieges hätte man so schön die Welt in Gut und Böse teilen können, aber dann kamen unter anderen die Juden und fingen an, auf Komplikationen aufmerksam zu machen, auf die eigentlichen Erfahrungen der Beteiligten, sogar auf moralische Grauzonen. Indem sie verschiedene Gesichtspunkte von Menschen einbrachten, die wirklich von dem Ganzen betroffen waren, zeigten sie, daß der Krieg nicht nur geschah, um zu beweisen, wieviel die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt hatten.

Das wurde als Beleidigung empfunden. Schließlich hatten die Deutschen, auf jeden Fall die »Linken«, ihre Geschichte aufgearbeitet und ihr Recht auf Kritik an Israel erkämpft. Ein Recht, das mich übrigens fasziniert: Ich stelle mir vor, ich würde zum Beispiel den amerikanischen Schwarzen sagen, ich habe ein Recht, sie zu kritisieren, denn schließlich gehöre ich einer Generation an, die die Geschichte der Sklaverei aufgearbeitet habe ... solche Arroganz wäre etwas fehl am Platz. Als weiße Amerikanerin habe ich gegenüber Schwarzen vielmehr die Pflicht, gefälligst zu schweigen und zuzuhören: vielleicht dann — nachdem ich mich mit den Fakten gründlich auseinandergesetzt habe — kann ich ein Recht in Anspruch nehmen, eine gut durchdachte, fundierte Meinung zu äußern. Das verlangt aber zuerst Respekt, sogar Demut vor dem, was der Betroffene zu sagen hat. Das gleiche gilt in diesem Fall auch gegenüber Juden. Dasselbe Schweigen und Zuhören hätte ich mir während des Golfkrieges gewünscht. Statt dessen standen die Deutschen — und ihre Rechte — wieder im Mittelpunkt. Aber über den Krieg ist genug gesagt worden, er bedeutete vielleicht eine Ausnahmesituation, in der Juden (und Fakten) eher störend wirkten. Es gibt auch die tagtägliche Situation, in der Juden als Gewissen funktionieren. Wir haben es fast alle erlebt — deutsche Freunde beichten uns ihre Einstellung gegenüber Juden, die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern, ihrer Nazi-Verwandten und so weiter. Eigentlich störte mich das bisher nicht. Auch wenn es seltsam ist, auf einmal um Absolution gebeten zu werden, sozusagen stellvertretend für alle Juden, so ist die Reaktion verständlich. Es gibt so viele Ängste im Umgang mit dem Unbekannten, in diesem Fall mit Juden. Aber wenn dieses Verhalten den Umgang nachher erleichtert, warum nicht? Ausländische Juden haben einen Vorteil gegenüber denen, die hier geboren sind: Wir haben das Glück, freiwillig hier zu sein, wir mußten uns nicht von Geburt an Gedanken machen über Deutsche und Juden und deutsch-jüdische Identität — wir sind das Ganze noch nicht satt.

Und es kommen immer mehr Juden aus dem Ausland — besonders den USA — nach Deutschland. Einige kommen, um Germans anzugucken, ob sie wirklich so schlimm seien, wie man denkt. Andere kommen, um ihren Eltern zu trotzen, die Deutschland als Schimpfwort benutzen und nie im Leben einen Volkswagen kaufen würden. Noch andere suchen Versöhnung und finden einen deutschen Freund oder eine Freundin. Und ich? Ich bin keine Missionarin. Ich mag Berlin. Außerdem kommen meine Vorfahren aus »Ost-Mitteleuropa«, die Suche nach den Wurzeln spielt eine Rolle, das soll man nicht abtun. Damals, als sie hier lebten, war das Zusammenspiel zwischen Juden und Nichtjuden oft produktiv, spannend, aufregend. Deswegen sehe ich die Sache anders, als ein jüdischer Freund zu Hause, der mir neulich erklärte, warum er nicht nach Deutschland kommen wolle: Er will nicht riskieren, daß er das Land, das seinen Eltern soviel angetan hat, nach einem Besuch vielleicht nicht mehr so hassen könnte wie zuvor. Ich möchte mich lieber den wirklichen Konflikten und Spannungen stellen, die er dagegen nur im Kopf erlebt. Denn, so sehr ich mich manchmal ärgere — diese Konfrontation, dieser Kontakt zwischen den Kulturen schafft etwas. Wenn alles gutgeht, ändern wir uns beide dadurch, bis etwas Neues entsteht. Und selbst wenn nicht — es hat Spaß gemacht. Belinda Cooper

Die Autorin ist US-amerikanische Jüdin.

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