: DDR-Unternehmer haben Sorgen
■ Unternehmerverband fordert Steuerbefreiung und Veräußerbarkeit von Grund und Boden
Berlin (taz) - Mittelständische Privatunternehmer in der DDR sind bisher weder mit ihrer eigenen Regierung zufrieden noch mit dem, was von Bonner Seite etwa im „Staatsvertrag“ eingeräumt wurde. Auf einer Pressekonferenz des kürzlich gegründeten „Unternehmerverbandes der mittelständischen Industrie der DDR“, der gegenwärtig rund 20.000 Mitglieder hat, kritisierte dessen Präsident, Klaus Beckers, insbesondere das Fehlen entsprechender Rahmenbedingungen für die Reprivatisierung und Privatisierung der DDR-Industrie. Solange sich daran nichts ändert, müsse die Reprivatisierung „hinausgezögert“ werden. Der Chefredakteur des Verbandsorgans 'Die Marktwirtschaft‘, Joachim Meier, meinte, es ist „bei weitem nicht möglich, aus der gegenwärtigen Situation so viel Zuversicht zu schöpfen, daß man sich selbständig macht.“ Tatsächlich gibt es gegenwärtig zwar ca. 5.200 Anträge auf Reprivatisierung von 1972 verstaatlichen Unternehmen, doch erst 50 Fälle sind nach einem umständlichen bürokratischen Verfahren abgeschlossen. Die Gründe dafür liegen darin, daß die künftigen Unternehmer auf eine Umbewertung des viel zu hoch eingeschätzten Produktionsvermögens der Betriebe nach BRD-Maßstäben warten. Weiterhin erhoffen sie sich ein neues, unternehmerfreundlicheres Steuergesetz und fordern Steuerbefreiung für die nächsten fünf Jahre. Und schließlich müsse Grund und Boden frei veräußerbar werden.
Die DDR-Unternehmer leiden an Kapitalmangel. Um dem abzuhelfen, fordern sie Hilfe aus der BRD: „Wir brauchen 15 bis 20 Milliarden.“ Außerdem müsse die DDR Kredite aufnehmen, um auf kommunaler Ebene Förderungsprogramme für Infrastruktur und Gewerberäume aufzulegen.
Da in der DDR „die Menschen es nicht mehr gewohnt sind, eigene Verantwortung zu übernehmen“, sei es notwendig, „Fachkader aus dem anderen Teil unseres gemeinsamen Vaterlandes hierherzuholen“. Ein Anfang ist gemacht: 200 pensionierte Manager sind bereit, ihre Kollegen in der DDR unentgeldlich zu beraten.
Die Mittelständler machen sich wenig Illusionen über die nächsten Monate. J.Meier erklärte, „der 2.Juli“, also die Einführung der D-Mark, „wird die DDR marktmäßig weitgehend unvorbereitet treffen“. Es handle sich um eine „höchst dramatische Situation“. Angesichts des Umstands, daß der Handel schon jetzt nicht mehr bereit ist Waren von den volkseigenen Betrieben abzunehmen, fordert Becker, daß die westlichen Unternehmen beschleunigt auch als Produzenten ins Land gelassen werden.
Gegenüber der Ankündigung der DDR-Regierung, es werde in relativ kurzer Zeit gelingen, 500 Tausend neue Arbeitsplätze zu schaffen, zeigten sich die Verbandsvertreter äußerst skeptisch. Klarer scheint, daß - so Beckers - unter den absehbaren Bedingungen bis zum Anfang nächsten Jahres „kaum ein volkseigener Betrieb in der Lage sein wird, sich auf Basis einer Gewinn- und Verlust-Rechnung zu halten“.
Walter Süß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen