: DDR-Grenze wird zur Endstation Sehnsucht
■ Ost-Berlins Innenminister Diestel (DSU) hat es geschafft: ab sofort ist die DDR faktisch für RumänInnen „dicht“ / Pätzold (West-SPD) leistete Schützenhilfe
Ost-Berlin. Innen auf, außen zu: Während in Bonn die endgültige Übergabe der DDR an die BRD per Unterzeichnung des Staatsvertrages eingeleitet wurde, beschloß der DDR -Ministerrat gestern in Ost-Berlin weitreichende Einreiserestriktionen für rumänische Bürger. Rumänen die in die DDR einreisen wollen, müssen ab sofort an der Grenze eine „formgebundene Einladung“ oder die „Buchung einer touristischen Leistung“ nachweisen. Da der Mehrheit der rumänischen Bürger, allen voran die Angehörigen der Roma, weder das eine noch das andere gelingen dürfte, ist an der DDR-Grenze nun faktisch Endstation für Flüchtlinge und arme Touristen.
Damit hat sich vorerst die ordnungspolitische Linie des DDR -Innenministeriums gegen die Position der Ausländerbeauftragten der Regierung, Almuth Berger, und der Ausländerbeauftragten des Ostberliner Magistrats, Anetta Kahane, durchgesetzt. Letztere bezeichnete den Beschluß als „skandalös“. Widerspruch gegen Einreisebeschränkungen regte sich bis zuletzt auch im SPD-geführten DDR-Außenministerium. Innenminister Meckel hatte sich noch am Donnerstag beim Thema Einreiseunion gegen Polen dagegen verwahrt, „alle Barrieren an die Oder zu verlegen“.
Die gestern im Ministerrat eingebrachte Beschlußvorlage zielte eigentlich zunächst auf etwas ganz anderes ab: die Schaffung karitativer Strukturen und Unterkunftsmöglichkeiten für Flüchtlinge und mittellose Ausländer, die Bereitstellung finanzieller Mittel aus dem Staatshaushalt für deren Versorgung; den Beitritt der DDR zur Genfer Flüchtlingskonvention, die Schaffung eines eigenen Asylrechts. Auf Antrag des Innenministeriums wurde die Vorlage jetzt durch die genannten Einreisebeschränkungen ergänzt - und ad absurdum geführt. Faktisch habe man nun - so ein Mitarbeiter der DDR -Ausländerbeauftragten - die politischen Voraussetzungen für eine Flüchtlingspolitik bei gleichzeitigem Ausschluß der Flüchtlinge beschlossen. Noch am Donnerstag hatte der Westberliner Innensenator Pätzold angesichts des „dramatisch verstärkten Zugangs aufnahmesuchender Ausländer“ bei den Innenministern Schäuble und Diestel interveniert und moniert, daß die DDR-Regierung die Einreise von Ausländern über Ost-Berlin nach West-Berlin nicht verhindere. Diestel solle alles, was sich ihm an rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten biete, veranlassen, „um der Problematik Herr zu werden“.
In einem gestern veröffentlichten Aufruf des evangelischen Bischofs von Berlin-Brandenburg, Gottfried Forck, betonte der Kirchenmann, was in diesen Zeiten viele hüben und drüben nicht hören wollen: daß aufgrund des Massenmordes der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma gerade gegenüber den Nachfahren dieser Menschen eine besondere Verpflichtung bestünde. Ihnen müsse gezeigt werden, „daß wir die schlimme deutsche Überheblichkeit und Unmenschlichkeit überwunden haben und nach Kräften zur Hilfe bereit sind“.
Andrea Böhm
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