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DAS MASKULINE UND DAS FEMININE IN MENSCH UND TIER Von Ralf Sotscheck

Irisch ist die erste Landessprache. So steht es in der Verfassung Irlands. Zwar benutzen nur noch 10.000 Menschen Irisch als Umgangssprache, doch schon in der Vorschule ist es Pflichtfach. Und ohne Irischkenntnisse wird man nicht in den Staatsdienst aufgenommen. Nun hat der Verlag An Gúm, der dem Bildungsministerium untersteht, endlich ein umfangreiches irisches Lexikon veröffentlicht. Das Werk mit dem Titel An Foclóir Beag, das sich vor allem an Teenager richtet, enthält 13.000 Eintragungen. „Ein Meilenstein“, jubelte die 'Irish Times‘.

Das Lexikon enthalte auch moderne Worte und komplizierte technische Begriffe, berichtete der Autor Pádraig Ua Maoileoin stolz. Um andere in Irland ebenfalls komplizierte Bereiche macht das Buch allerdings einen Bogen. So kommen weder Penis (bod) noch Vagina (faighin) oder Vulva (pit) vor. Wo es keinen Penis gibt, hat natürlich auch ein Kondom (coiscin) nichts zu suchen. Leichtsinnigerweise erscheint jedoch ginmhilleadh: Abtreibung. Es wäre zu prüfen, ob das Bildungsministerium damit gegen die irische Verfassung verstoßen hat, die nicht nur Abtreibung, sondern auch die Information darüber verbietet. Englische Frauenzeitschriften, wie 'Cosmopolitan‘, sind da vorsichtiger und entfernen die entsprechenden Seiten für die irische Ausgabe.

Wer ist für die Auslassungen verantwortlich? Das ist glatter Zufall, wenn man einer Presseerklärung von An Gúm glauben will. „Viele Wörter sind nicht enthalten“, heißt es darin. „Das hat nichts mit irgendeiner Form von Zensur zu tun. Die wichtigste Grundlage für die Aufnahme eines Wortes ist die Häufigkeit der Benutzung.“ Irische Teenager nehmen diese Wörter nach Ansicht des Bildungsministeriums offenbar nicht in den Mund.

Auch Masturbation kommt im Lexikon nicht vor. Wozu auch, wenn es weder Penis noch Vagina gibt. Überraschend taucht dann allerdings „Sex“ auf: Gnéas. Das merken aber nur Eingeweihte, da Ua Maoileoin eine fast poetische Definition ersonnen hat: „Das Maskuline und das Feminine in Mensch und Tier sowie jede Aktivität oder Qualität, die in Verbindung damit erwähnt wird.“ Was soll man sich darunter vorstellen? Eiskunstlaufen? Dáir, Geilheit, verbannt der Autor in die Tierwelt: „Das starke Verlangen eines Bullen nach einer Kuh.“ Und was ist mit Bienen und Blumen?

Obwohl das Lexikon schon im vergangenen Dezember erschienen ist, hat Ua Maoileoin bis heute kein Belegexemplar erhalten. Er weist jede Schuld an den Auslassungen von sich: „Wenn die Wörter wirklich nicht drin sind, ist das nicht meine Schuld.“ Das klingt überzeugend. Schließlich ist eins seiner Frühwerke, Na hAird Ó Thuaidh, in den sechziger Jahren öffentlich in einem Wirtshaus in Dunquin, Südwestirland, verbrannt worden, weil er zu häufig das Wort bod benutzt hatte. Der Schriftsteller Gabriel Rosenstock, der bei An Gúm angestellt ist, sagte jedoch gestern zur taz: „Wir bleiben dabei. Die betreffenden Wörter fehlten im Manuskript.“ Gehören sie überhaupt in ein irisches Lexikon? „Ja, natürlich, und mindestens ein halbes Dutzend Synonyme noch dazu.“

Ein irischer Politiker sagte einmal, daß es in Irland keinen Sex gab, bis das Fernsehzeitalter auch auf der Grünen Insel begann. Die Verantwortlichen für das Lexikon wollen offenbar den Eindruck vermitteln, daß Sex erst mit der englischen Sprache über Irland hereinbrach.

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