DAS GUTE KUNSTBUCH

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Um ein „Kunstbuch“ zu lesen, darf man nicht in einer Krise stecken, da würden bloß Abenteuerromane helfen und das sind Kunstbücher in der Regel nicht. Für ein Kunstbuch sollte man Gelassenheit mitbringen und die seitenlangen Landschaftsschilderungen nicht überblättern. Sie könnten das Beste sein. Nicht die Rede sei hier von sauteuren Farbabbildungsschinken, deren „Texte meistens sprachlich unzulänglich und, was die Argumentation angeht, mit Schwachsinn durchtränkt“ (Platschek) sind.

KUNSTZERSTÖRER

Die „Fallstudien: Tatmotive und Psychogramme“ von Peter Moritz Pickshaus lesen sich wie ein Krimi. Man wühlt sich durch die Anmerkungszettel wie durch eine unendlich verworrene Indizienkette, an deren Ende der Inspektor vom untersuchenden Beschauer zum Voyeur geworden ist. „In der Aneignung, dort wo mit Augen verschlungen wird, kommt dem Ansehen selbst die Bedeutung eines abgeschwächten Zerstörens zu.“ Indem das Kunstwerk Fetisch ist, impliziert es seine Zerstörung. Welcher Art die guten Gründe für die in der Regel männlichen Attentäter sind, in welcher Konstellation aus psychischer Verfassung des Täters und sozialer Aura des Objektes die Anschläge erfolgen, erforscht Pickshaus mit wissenschaftlicher Akribie, ohne seine Sympathie für die handelnden Opfer zu verbergen. Er unterscheidet zwischen restaurativen und destruktiven Kunstzerstörern, (die „konventionellen“, die sich im Konsens mit dem „gesunden Menschenverstand“ als Erfüllungsgehilfen verdingen, interessieren ihn nicht). Während die einen in Tötungsabsicht gegen ein unzugängliches, bedrohliches „Erhabenes“ vorgehen aus horror vacui, begreifen die konstruktiven Zerstörer ihre Aktion als eine Art der Vollendung. Das Kunstwerk wird weiter gedacht, indem seine Position und Wirkunsebene, der museale Kunstraum, angegriffen wird - nur die Konsequenz eines erweiterungsbedürftigen Kunstbegriffs. Ein „gegenstandsloses Gefühl“ überwältigte den Tiermedizinstudenten vor „Who's afraid of Red, Yellow and Blue“ von Barnett Newman, das ihn nicht mehr losließ, bis er seine Zeichen gegen die monochrome Furchtbarkeit, „die verheerende Ausschließlichkeit“ setzte. Die 43-jährige Ruth van Herpen mußte sich wegen ihres Lippenstiftkusses auf ein weißes Bild wegen „Vandalismus“ vor Gericht verantworten. Der „Säureattentäter“ Kurt Walmen, der 1959 Rubens „Höllensturz“ in der Münchner Pinakothek ruinierte, wähnte sich als fortschrittskritischer Messias mit seinem „Fanal“. An „seelischen Leiden ohne Begründung“ litt der Serientäter (von Radziwill bis Klee, Cranach und Rubens und Rembrandt), der seine Bestrafung einklagte.

Was ist romantischer: Die Tat oder der Glaube an eine so aktionistische Wirksamkeit von „Kunst“? Den radikaleren Kunstbegriff hat allemal der Zerstörer. „Bis zu einem gewissen Grad setzt jede echte schöpferische Arbeit voraus, daß scharf umrissene rationale Denk- und Imaginationsweisen verworfen werden. Insoweit schließt Kreativität Selbstzerstörung ein.“ (Ehrenzweig 1914, Anm. 11)

Peter Moritz Pickshaus, Kunstzerstörer, 1988, rowohlts enzyklopädie/kulturen und ideen, 400 Seiten, 24,80 DM.

VERGESSLICHE ENGEL

Der kunsthimmelblaue Einband der „Künstlerportraits für Fortgeschrittene“ von Walter Grasskamp (1986) läßt olympisches Lüftchenfächeln befürchten. „Künstlerportraits“, das Genre bedingt eine konventionelle Sicht auf Persönlichkeiten, die nicht durch interessante, unerwartete Namen gesprengt werden kann. Blume, Büttner, Dokoupil, Gerz, Haacke, Kiefer, Kunc, Lüthi, Mucha, Paolozzi, Polke, Richter, Sarkis, Spoerri, Theewen, Aldo Walker - alle 16 werden von Grasskamp aus vorsichtiger Distanz, vornehm in seiner Demut, beäugt und beschrieben. Es geht schließlich um die vergeßlichen Engel, die Künstler hier oder dort oben. Mit wackelköpfiger Nostalgie erinnert Grasskamp an den Glauben, daß Kunst retten, erlösen kann - wenn man nur genug daran glaubt. (Hier hat Pickshaus, der seinem Wuppertaler Mentor Grasskamp im Vorwort dankt, mit dem Fetisch Kunst angesetzt, Grasskamp sprach letztes Jahr im NBK anläßlich der Skulpturen-Boulevard-Debatte über Kunstzerstörung.) Da ist vielleicht zu viel von „souveränen“ und „überzeugenden“ Werk-Personen-Identitäten die Rede, von „Betroffen machen“ und „Bereitschaft zur Offenheit“. Eine etwas altmodisch wirkende Menschenliebe macht die modernsten Künstler vertraulich. Aber daneben, dahinter stehen kleine, unrepräsentative Geschichten, die der Autor nicht unstolz erzählt, besser jedoch erfindet. Dann sind es kleine Märchen.

Walter Grasskamp, Der vergeßliche Engel, Künstlerportraits für Fortgeschrittenen, Auflage 2000, Verlag Silke Schreiber, 29,80

MALOCHE

Das fadengebundene, leinenumschlagene Buch mit dem Titel „Maloche“ liegt als kompakter Din-A4-Block in der Hand. Seine gewichtige und gleichsam handliche Festigkeit gibt einem Selbstvertrauen. Mit diesem Buch in der Hand kann man sich überall sehenlassen, vermutlich kann man sich damit sogar verteidigen.

Ein praktisches Buch von einem und über einen praktischen Künstler, der an der Deckungsgleichung von Form und Inhalt arbeitet. „Arbeit als Befähigung, mit den Händen denken zu können“ nennt es Knut Nievers in seiner Vorbemerkung: Zur Arbeit des Künstlers, die das Buch des Kieler Künstlerhauses, hrsg. Kulturamt Kiel, anläßlich der Ausstellung „Über den musealen Raum hinaus - Zitate aus der Realität“ von Raffael Rheinsberg einleitet. „Der Mann der Straße“ (Rheinberg laut seiner Gefährtin Engel!) buddelt die Legosteine seiner Sozialwohnungen aus der Basis, den Abfällen des Bewußtseins, „dort wo die Gedanken an der Wirklichkeit gemessen werden“ (Engel). Doch wir bauen keine neue Stadt. Rheinsberg sammelt. Steine, Werkzeuge, Spuren, Zeichen, Dinge, die keiner mehr haben will. Und zitiert. Eine Archäologie des Abfalls, Bilder aus dem Brennen der Augenhöhlen. „Maloche“ ist nicht allein Mühe, sondern auch „Handwerk“ und „Kunststück“. Zur Dokumentation von Raffael Rheinsbergs Aktionen und Arrangements in vielen Fotos kommen die Texte der Berliner Voll- und Semiprominenz, vom bethanienmäßig unvermeidlichen Aue bis zur schwarzweißen Fotoeminenz Frecot, die den kunsttheoretischen Überbau interpretatief und fein gedrechselt hinzudichten: „Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Inhalt findet nur der, der etwas hinzuzufügen hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten“ (J.W. v. Goethe, Motto vom Frank Barth und Regina Maas zu ihrem Text „Kofferinhalte“).

Noch ein Buch also über den textuellen Umgang mit Kunst, mit einer modernen, das formale Gerüst des Informellen übersteigenden Kunst. Eine Textsammlung, die das Versagen des Katalogbeitrags im Feuilleton-Futon ethisch verteidigen würde oder etwa eine, die zur Safari beim Heimatethnologen einloggen würde? Die Tiefen, die Rheinsberg mit Magnetangeln in der Elbe abfischt, hören sich im Kunstjargon eher peinlich, falsch an. Das rostige Teil verweigert sich noch im Begriff des Auftauchens seiner Benennung. Rheinsberg sammelt die Phänomene, die rudimentären Elemente, die Reste, die Bruchstücke, den Müll von Geschichten, die ihm bislang unerzählt schienen. Und die dann nachzuerzählen, erfordert schon eine entsprechende Phantasie.

„Über den musealen Raum hinaus - Zitate aus der Realität“, Buch zur Ausstellung von Raffael Rheinsberg, Hrsg Kulturamt Kiel, 1988, 37,50 DM

BARGELD

Lesen kann man das Buch „Stimme frißt Feuer“ von Blixa Bargeld eigentlich nicht, nicht in der U-Bahn und nicht im Bett. Singen, Stammeln, Hauchen, Fauchen- „SAG JA SAG JA“ in Versalien die Plattentexte, in Gemeinen die Interviewfragmente und Statements aus Spex, Kursbuch, Sounds etc., sowie Transcriptionen von Zetteln und Notizbüchern. Blixa gibt natürlich keine Geschichten preis, sich zu unterhalten ist Sache des Lesers. Lieber simuliert er das fraktale Toben, den Marschierpulverwahn, den gleißenden Wortirrsinn im Stolperstakkato. Die Worte delirieren jenseits der Syntax eines konspirativen Codes. Blixa („Wenn es mir nicht mehr paßt, lasse ich Blixa einfach verschwinden“) ist immer der zornige Dandy, die kajalumdüsterten Triefaugen ins Ozonloch gebohrt und mit der Warholschen Schwindsucht kokettierend. Blixa unverstanden.

„Eins zu Null für dich, wenn du mich dazu bringst, meine zynisch-sarkastisch-ironische Ebene zu verlassen und tatsächlich was zu sagen“. Jawoll: „Der Mund ist die Wunde des Alphabets. Meine Schreie kehren zurück, lecken die Wunde, Blutvergiftung“. Trotziges Artikulationsverweigern, gellend und naiv: „Stimme frißt Feuer“ und wer spuckts aus?“

Blixa Bargeld, Stimme frißt Feuer, Merve Verlag, 12 DM.

Vogel