DAS GETRÄNK FÜR BITTERE ZEITEN: Coolness des Kräuterbitters
Mundwerk
von Christoph Raffelt
Eigentlich beginnt die Geschichte des Kräuterlikörs in Montpellier. Dort war der Gelehrte Arnaldo de Villanova Ende des 13. Jahrhunderts Leiter der medizinischen Fakultät. Auf einem Kreuzzug hatte er im Nahen Osten die Kunst der Destillation kennengelernt. Im Süden Frankreichs wandte er sie nun an, indem er Heilkräuter mazerierte und so die Wirkstoffe aus den Pflanzen herauslöste.
Da ein reines Kräuterdestillat bitter ist, wurde es von Beginn an mit Honig versetzt. Wie beim Bier waren es die Klostermönche, die sich um die Herstellung auch dieses alkoholischen Produkts besonders kümmerten und die die Herstellungsweise des Kräuterlikörs verbesserten. Der französische Chartreuse ist wohl das bekannteste Beispiel eines Likörs nach Klosterrezeptur.
Heute stellen nur noch wenige Klöster ihre Liköre selbst her. Den Markt haben mittelständische Unternehmer übernommen. Die Familie Mast ist hierzulande der bekannteste. Mast stellt seit 1934 im niedersächsischen Wolfenbüttel den Jägermeister her. Das Gemisch aus Kräutern, Alkohol, Zucker und Wasser war lange der typische Magenbitter. Ein zeitlos wirkendes Getränk deutscher Kneipen, wo es wie Killepitsch oder Stonsdorfer parallel zum Bier oder nach dem Schnitzelteller konsumiert wurde.
Aus dieser Ecke hat sich der Jägermeister mit klugem Marketing ab den 1990ern herausgehievt. Die Marke wurde verjüngt. Szenekneipen wurden von „Jägerettes“ okkupiert – jungen, leicht in Orange bekleideten Frauen, die nicht mehr einfach Jägermeister ausschenkten, sondern „eiskalte Shots“. Die haben nachhaltig Wirkung gezeigt: Mast hat seinen Umsatz vervierfacht, und mit Jägermeister kamen auch andere Kräuterliköre aus der Herrengedeck-Ecke. Dazu gehören norddeutsche Bitter wie „Jaster’s Original Gronauer Lockstedter“ oder der „Alte Bergedorfer Heinrich von Have“.
Dass der Bitter mittlerweile ziemlich cool geworden ist, zeigt die Clockers Bar auf St. Pauli in Hamburg. Die hat kurzerhand ihren eigenen Kräuterlikör abgefüllt. Er heißt Clockers Herb, ist nicht zu süß und zeigt viel Frucht von herber Orange und Aprikose. Dazu kommen natürlich Kräuter und Gewürze, unter denen vor allem eine leichte Zimt- und Kardamomnote auffällt. Ein Kräuterlikör nach dem Essen sollte dem Wohlbefinden keinen Abbruch tun.
Christoph Raffelt schreibt seit 2007 über Wein, Bier und handwerklich gemachte Produkte –vor allem in seinem Magazin originalverkorkt.de.
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