DAS DING, DAS KOMMT : Saisonale Gemüsekunst
DER GRÜNKOHL hat nun Saison und die Oldenburger widmen dem Gemüse eine Schau
Saisonales Gemüse gehört in den Einkaufskorb, also jetzt hinein mit dem Grünkohl. Traditionell stundenlang vor sich hin geköchelt, ist er zwar keine Schönheit, schmeckt aber gut.
Im Braunschweigisch-Hannöverschen isst man den Grünkohl mit Brägenwurst, im Oldenburgisch-Bremischen mit Pinkel. Denn irgendwie zwischen Nienburg an der Weser und Rotenburg an der Wümme verläuft der Grünkohl-Äquator, der Brägen von Pinkel trennt. Wer sich um Grenzen nicht schert, kann den Kohl essen, wie er mag.
In den vergangenen Jahren hat sich der Grünkohl ohnehin zunehmend emanzipiert, landete auf Tellern jenseits von Bremen und Oldenburg im Salat oder in der Nudelsoße. Diese Emanzipation wird in Oldenburg, wo sie das kräuselige Wintergemüse Palme nennen, noch weitergedreht – und zwar weg vom Kulinarischen, hin zur saisonalen Gemüsekunst.
Die Oldenburg Tourismus Marketing GmbH hat sich die Grünkohl-Ausstellung ausgedacht, die jetzt zum zweiten Mal im Oldenburger Schloss stattfindet. Man gehe mit dem Traditionsthema Grünkohl in Oldenburg eben „frisch und kess“ um, heißt es. Maler, Bildhauer und Fotografen aus Oldenburg und umzu wurden beauftragt, sich mit dem Thema Grünkohl auseinanderzusetzen. Herausgekommen sind Interpretationen „von abstrakt bis realistisch, von expressiv bis sachlich, von witzig bis ernsthaft“, kündigt das Stadtmarketing an.
Die Ausstellung trägt den Titel „GreenArt II oder: Die Kunst, den Grünkohl zu sehen“. Da fragt man sich, ob alles auf Leinwänden und in Glaskuben landen muss und ob das Stadtmarketing sich als Kurator verdingen sollte. Kohl in der Kunst ist fragwürdig.
Denn der Grünkohl gehört auf die Straße – besser gesagt ans Ende eines ausgedehnten Spaziergangs durch Marsch und Wiesen. Schön kalt muss es sein und um den Hals muss ein Schnapsglas am Geschenkband baumeln, ausgestopft mit einem aufgerollten Papiertaschentuch, damit der „Rote“ die Jacke nicht einsaut. Wer aus einer Grünkohl-Gegend kommt und noch dazu in einem Sportverein war, wird an so einer Kohltour nur schwerlich vorbeigekommen sein.
Wie regional die Kohltour verwurzelt ist, merkt man spätestens dann, wenn man diesen Brauch in eine andere Stadt zu tragen versucht und mit Bollerwagen durch die Gegend zieht. Wo Zuhause die Alteingesessenen in der Kohltour-Zeit für vorbeiziehende Gruppen immer Schnaps parat haben, gibt es andernorts bloßes Staunen über so einen Blödsinn.
Vielleicht sollten es die Stadtmarketing-Leute aus Oldenburg den Kölnern nachtun und die Kohltour als Kulturerbe anmelden, statt das Gemüse in eine Ausstellung zu hieven. Denn Grünkohl erinnert mehr an Karneval als an Kunst. ILK
„GreenArt II oder: Die Kunst, den Grünkohl zu sehen“: bis zum 5. Januar im Oldenburger Schloss