DAS DEUTSCH-AMERIKANISCHE TAUWETTER IST ZU TEUER ERKAUFT: Tarifwucher in Washington
So teuer wurde Gesprächszeit noch nie verkauft. Erst bekam Außenminister Fischer 45 Minuten beim US-Kollegen Colin Powell zugestanden, dann durfte Kanzler Gerhard Schröder volle zehn Minuten mit Präsident George W. Bush persönlich telefonieren – und jetzt wurde Verteidigungsminister Peter Struck unglaubliche 60 Minuten lang zu Pentagon-Chef Donald Rumsfeld vorgelassen.
Zusammengenommen ist es also eine Gesprächszeit von ziemlich genau zwei Stunden, die sich die Bundesregierung seit dem Beginn der diplomatischen Eiszeit mit Washington erkauft hat. Noch immer ist der Lustfaktor dieser Audienzen ziemlich gering, aber von den teuren 01 90er-Gesprächen unterscheiden sie sich vor allem in einem weiteren Punkt: Sie sind ungleich teurer bezahlt als die Telefonate, die selbst bei betrügerischen Anbietern mit höchstens 900 Euro pro Verbindungsaufbau zu Buche schlagen.
Zwar hat die deutsche Regierung beim eigentlichen Gegenstand des Streits, der Irakfrage, ihre Position bislang nicht geändert. Doch auf nahezu allen anderen Gebieten macht Schröder auf einmal Zugeständnisse, zu denen er selbst in früheren Zeiten des trauten Einvernehmens nicht bereit war. So erfüllt der Kanzler mit seinem jüngsten Plädoyer für die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei einen Herzenswunsch der Amerikaner, obwohl sich die Deutschen in Sachen Erweiterung in Richtung Bosporus bislang nicht besonders hervortaten. Und die Intensivierung des deutschen Militäreinsatzes in Afghanistan ist plötzlich selbstverständlich – obwohl es doch immer hieß, die Bundeswehr habe die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht.
Doch die Obergrenze der Gesprächstarife ist erreicht, und diese Erkenntnis scheint allmählich auch in Washington zu dämmern. Bei weiteren Preiserhöhungen läuft die US-Regierung Gefahr, dass sie in der Öffentlichkeit wegen unlauteren Wettbewerbs am Pranger steht. Die Anbieter der 01 90er-Nummern müssen diese Erfahrung gerade machen: Just an diesem Wochenende kündigte das Verbraucherministerium an, mit einem neuen Gesetz gegen die Trickser vorzugehen.
RALPH BOLLMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen