DAS CHAMÄLEON IM SALON

■ Die Wiederentdeckung des deutschen Neo-Impressionisten Curt Herrmann im Berlin Museum

Französische Impressionisten und deutsche Expressionisten, flimmernde Seine-Ufer und Berliner Großstadtekstase, Ausflugsstimmung und nächtliche Lebensgier: Das hat man sich in Köpfen und Museen so hübsch auseinandersortiert. Da blieb für den deutschen Neo-Impressionisten Curt Herrmann nur ein vergessenes Winkelchen. Aus diesem leuchtet nun plötzlich eine künstliche Sonne hervor, die die Intensität der Farben ins Unglaubliche steigert.

1985 erwarb das Berlin Museum eine verschneite und zarte Dachlandschaft, die Curt Herrmann um 1908 als Blick aus seinem Atelier in der Kaiserin-Augusta-Straße gemalt hatte. Bei den Recherchen zur Herkunft des Bildes wurden Briefe vieler bekannter Künstler der Moderne an den Maler, Presseberichte und kunsttheoretische Publikationen von Curt und Sophie Herrmann entdeckt; zusammen mit seinen Bildern wies dies Material auf seine zweifache historische Bedeutung als Protagonist eines deutschen Neo-Impressionismus und als Sammler und Förderer einer Moderne hin, die über seine eigenen Stilimporte hinausgeht. Das Berlin Museum entschloß sich zu einer Retrospektive über den zu Lebzeiten zwar nicht unumstrittenen, aber dennoch erfolgreichen und später vergessenen Maler. Gerade sein teilweise zwiespältiger Status als Künstler a la mode macht ihn zu einem kunstsoziologisch spannenden Fall.

Beim flüchtigen Hinsehen verblüfft, daß man seine Bilder schon zu kennen glaubt: die Lesende auf dem Sofa sah man bei Whistler, die Seerosenpflückerin im ornamentalen Lineament des Teichs erinnert an Munch, in den gepünktelten Gärten ahnt man die Franzosen, seine Farbstrudel schließlich kennt man von van Gogh. Die Malerei, die Herrmann als wohlhabender Sammler, Autor und Mitorganisator von Ausstellungen förderte, propagierte er auch mit dem eigenem Pinsel. Daß er dennoch nach einem eigenen Stil suchte, ist aus der heutigen Perspektive, immer gefiltert durch die Erinnerung an Bilder bekannterer Maler, schwer nachzuvollziehen. Seine leichte Verspätung auf dem Terrain der Avantgarde prägt seine Rezeption bis heute.

Erfolgreich war der 1854 geborene Maler zuerst als Porträtist mit Bildern, die noch eindeutig dem Naturalismus des 19. Jahrhunderts angehörten. In den neunziger Jahren beginnt er sich in Berlin vom akademischen, der treuen Wiedergabe des Gegenstandes verpflichteten Malstil zu lösen. Doch während er ästhetisch eine neue Farbgebung und rötliche Entflammung der Leinwand wagt, die seinen Mut zur Überwindung der Lokalfarben mit Ausrufezeichen versieht, spekuliert er in seinen Sujets zugleich mit dem Publikumsgeschmack. Aus einer Rezension der 'National -Zeitung‘ 1895: „Curt Herrmann schwärmt für Lampenschleier, deren Licht auf üppige Frauengestalten fällt. Entkleidete Modelle, Damen im Negligee, Damen, die in erregter Haltung auf dem Sofa liegen, das sind seine Lieblingsstoffe.“ Auf einem dieser Bilder, Lesende Dame auf rotem Sofa, steht neben der in warmem Rot Versinkenden ein Teetisch, auf den der Blick seltsam scharf eingestellt ist. Das preziose Funkeln der Lichtreflexe auf der Silberkanne entrückt die Lesende mit ihren verschwimmenden Gesichtszügen noch weiter. In solch raffinierten Stimmungseffekten erwies sich Herrmanns Ästhetizismus.

„Mein Streben geht dahin, meine Umgebung, Wohnung und Atelier harmonisch künstlerisch zu gestalten, so daß ich selbst aus meiner täglichen Umgebung heraus künstlerisch angeregt werde.“ Diesem Programm Herrmanns von der Veredelung des Lebens und der Schaffung einer Welt, in der das Schöne zirkuliert und das Häßliche ausgeschlossen wird, kam seine Freundschaft mit Henry van de Velde entgegen. Ein von van de Velde für den Maler entworfenes Eßzimmer mit halben Möbeln, das noch als vollständiges Ensemble besteht, bildet den Stolz der Ausstellung im Berlin Museum. Herrmanns als Bestandteil der Einrichtung gemalter Zyklus der Jahreszeiten illustriert „das Bedürfnis nach hellen Bildern, die mit ihrer Farbenpracht die Schönheit weißer, von elektrischen Lampen angestrahlter Wände erhöhen“, mit dem der Kunstkritiker Rosenhagen eine Ausstellung französischer Impressionisten in Berlin verteidigte. Herrmann nahm die Funktion des Bildes als Wandschmuck ernst und setzte Harmonie und Schönheit als ästhetische Ziele über alle inhaltlichen Thematiken. In seiner Motivwahl spielten Auseinandersetzungen mit seiner Zeit keine Rolle.

An seiner Malschule für Damen hatte Herrmann seine Frau Sophie Herz kennengelernt, die ein Schloß und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit in die Ehe brachte. Sie taucht in vielen Bildern als Modell auf; und sie übersetzte Paul Signacs Manifest Von Eugen Delacroix zum Neo -Impressionismus ins Deutsche.

Um die Jahrhundertwende begann nun der schon fast 50jährige Maler neben einer großflächig dekorativen Malerei, die Landschaften in verführerische Schwünge faßte, seine Version des Pointillismus. Mit dem punktförmigen Auftrag gewinnt die Farbe in seinen Bildern an Gewicht. Er vergröbert und radikalisiert die Methode der Pointillisten, als ginge es ihm weniger um eine sensible Protokollierung der augenblicklichen Atmosphäre, um Auflösung von Licht und Wahrnehmung, als vielmehr um die Entdeckung des Eigenwerts der Farben und ihrer Ablösung vom Gegenstand. Er setzt Komplementärfarben hart nebeneinander und mildert kaum die Kontraste. Die Punkte wachsen sich zu kräftigen Tupfen aus, sie schießen in die Länge und werden schließlich zu impulsiven Strudeln von Pinselstrichen. Damit ist Herrmann bei der Technik van Goghs angekommen, ohne allerdings dessen Emotionalität und Intensität zu erreichen.

Sophie im Liegestuhl, herbstliche Parkwege, ein Blumenbouquet, Interieurs, Stilleben, die verschneite und menschenleere Stadt: Herrmanns Schönheit blüht in stillen Winkeln. Die ausgewogenen Kompositionen beruhigen die Grellheit der unvermischten Farben. Doch in diese Winkel dringt 1916 eine merkwürdige Dissonanz. Während sich seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges in den dramatischen Bildsprachen vieler Künstler ganz unterschiedlicher Konzeptionen erst die Hoffnung auf eine neue Zeit und dann das Entsetzen über den Krieg widerspiegelt, bleibt Herrmann dabei, schöne Stilleben zu dekorieren - allerdings mit einem eigentümlichen Gegenstand. Er malte die Leichname der exotischen Vögel, die im Zoologischen Garten in Berlin durch die kriegsbedingte Not eingegangen waren. In ihnen fand er zugleich Anmut und eine Möglichkeit, sein Mitgefühl mit der sterbenden Kreatur auszudrücken. Von den Vogelstilleben geht aber auch eine merkwürdige Taubheit und Erstarrung der Emotionen aus. Mit vielen feinen kleinen Strichen halten sie die Pressung des toten Tieres in die Eleganz der Form mühsam aufrecht. Das Konzept des Kreislaufs des Schönen funktioniert nicht mehr.

Katrin Bettina Müller

Curt Herrmann - Ein Maler der Moderne in Berlin, bis 16. Juli im Berlin Museum. Der Katalog über den Maler und Sammler, der auch die Briefe an Herrmann dokumentiert, kostet im Berlin Museum 49, im Buchhandel später 80 Mark.