DAS BRAUTKLEID : Krise, welche Krise?
Während sie mir die Haare wäscht, betrachte ich das Brautkleid. Federleicht ist es und aus weißer Seide gemacht. Es scheint zu schweben, trotz der üppigen Menge Stoff, die darin verarbeitet ist. Der Schnitt feiert das Feminine und ist asymmetrisch. Eine Kreation aus zarten weißen Federn betont die linke Taille. Das Brautkleid hängt schimmernd im Durchgang zum Waschraum.
„Andere Frauen ziehen eine Plastiktüte über ihr Hochzeitskleid und dann verschwindet es im Schrank“, erzählt sie und massiert wohltuend die Kopfhaut. Und es werde nur hervorgeholt, wenn die Frau sich erinnern wolle, also wohl eher selten.
So manche Frau würde ja ohnehin bereits kurz nach der Hochzeit nicht mehr in ihr Brautkleid passen, sagt sie, weil sie sich über einen längeren Zeitraum in die Figur gehungert habe. Sie weiß das genau, sie hat es beobachtet. So schwebend und als Schmuckstück gebraucht, setzt dieses Hochzeitskleid jedenfalls eine besondere Note in dem frisch eröffneten Laden. Verkörpert, was festlich ist, sinnlich ist.
Und das Glück. Neulich las ich in einer Zeitung, Geschichten über das Glück seien langweilig. „Crisis? Which Crisis?“, hatte auf dem Weg hierher in der Straßenbahn der Linie M1 eine junge Frau mobil ihren Gesprächspartner gefragt. Ihre Auftragslage sei hervorragend, informierte sie ihr Gegenüber in englischer Sprache. Morgen werde sie in Hamburg sein, nächste Woche in Paris, danach in München. Ihr schneeweißer Wollmantel leuchtete einen Augenblick lang, als es der Sonne gelang, ein Loch in die Wolkendecke zu bohren.
In der Straßenbahn waren auch drei junge Männer bezüglich einer guten Gegenwart und Zukunft miteinander im Gespräch gewesen und dass man doch so einiges zuzusetzen habe, falls es einmal schwierig werden würde.
Interessante Töne und Taten. So mitten in einer Krise.
GUNDA SCHWANTJE