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D O K U M E N T A T I O N Sieben Jahre Kampf um die Hafenstraße

■ Dokumentation von Hilflosigkeit und ordnungspolitischer Taktiererei des Hamburger Senats Seit der „Polit–Mäzen“ Jan Philipp Reemtsma sein Kaufangebot für die Häuser der St.–Pauli–Hafenstraße zurückgezogen hat, ist es vorläufig Essig mit der Hoffnung auf „Entstaatlichung“ und damit De–Eskalierung des Besetzerkonflikts. Kai von Appen hat eine Dokumentation über sieben Jahre verfehlter Stadtpolitik zusammengestellt.

1980: Die stadtstaatliche Wohnungsbaugesellschaft SAGA verpachtet Teile der zum Abriß vorgesehenen Häuser an der St. Pauli Hafenstraße an einen studentischen Verein zur vorübergehenden Nutzung. 1981: Aufgrund einer Untervermietungsklausel im Nutzungsvertrag ziehen immer mehr Leute legal in die Gebäude ein. Weitere Mietparteien werden angemietet, die „schleichende Besetzung“ der letzten leeren Wohnungen schreitet voran. 1982: Trotz eines vom Senat verkündeten 24–Stunden–Besetzer–Ultimatums werden die Häuser für „besetzt“ erklärt. Im vorwahlkampflichen Hamburg verzichtet der Senat trotz seines Ultimatums auf die Räumung und schließt mit den Bewohnern Nutzungsverträge bis 1986 ab. 1985: Verfassungschef Lochte leitet die Kampagne gegen die Hafenstraßler ein, indem er behauptet, die Bewohner seinen von der RAF unterwandert. 1985/86: Immer wieder ist die Häuserzeile Zielpunkt von Großeinsätzen der Polizei, die in den Gebäuden die Urheber zahlreicher politischer Demonstrationen vermutet. 1986: Im Herbst beginnt der Senat mit dem Vollzug der ersten Räumungstitel. Mehrfach werden die Häuser von Mobilen Einsatzkommandos gestürmt und die Möbel der Bewohner auf die Straße geworfen. Es werden Bebauungspläne bekannt, nach denen Hamburg an der Hafenstraße eine Nobel– und Flanierpassage errichten will. Gleichzeitig erhebt sich gegen die Pläne erheblicher Widerstand. Am 20. Dezember demonstrieren 12.000 gegen die Senatspolitik. Winter 86/87: Eine sechsköpfige Vermittlergruppe, der auch J. PH. Reemtsma angehört, sucht nach einem Modell, den Erhalt der Häuser zu ermöglichen. April 87: Die Vermittlergruppe scheitert am Veto des Senats. In der Zwischenzeit läßt der Senat weitere Wohnungen räumen. Mai 87: Reemtsma macht das Angebot, die Häuser am Hafenrand zu einem symbolischen Preis zu kaufen, um an der „Entstaatlichung des Konfliktes“ mitzuwirken. Der um die Regierungsherrschaft bangende Senat begrüßt das Reemtsma–Modell als eine mögliche Lösung. Nach der Wahl macht die SPD einen Rückzieher. Sie verlangt im ersten Vertragsentwurf ein einjähriges Rückkaufsrecht für den Fall, daß die „Befriedung“ an der Hafenmeile mißlänge. Juni 87: Reemtsma weist die Senatsforderungen als „Verarschung“ zurück und stellt ein Ultimatum.. Er stehe nur als Garant alternativen Wohnens, nicht als ordnungspolitischer Herbergsvater zur Verfügung. Juli 87: SPD und FDP können sich nicht auf den Reemtsma–Vorschlag einigen und vertagen eine Beschlußfassung auf den September. Reemtsma zieht dennoch sein Ultimatum zurück, weil insbesondere die FDP Zustimmung zu seinem Modell signalisiert. Die Bewohnerinnen bezichtigen den Senat der Hinhaltepolitik, um die letzten Räumungstitel zu erlangen. Die Häuser werden verbarrikadiert. Am 6. Juli stellt der Senat den Bewohnern wegen angebrachter Betonklötze ein Ultimatum und fordert Reemtsma zum persönlichen Einschreiten auf. Die Eskalation bleibt aus, weil die Bewohner einlenken. Reemtsma zeigt sich über „Kriegserklärung“ des Senats empört und zieht Kauf–Angebot zurück.

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