Cuvry-Brache in Berlin-Kreuzberg: Hotelräume statt Freiraumträume
Kurz vor Ablauf der Genehmigung lässt der Investor Bagger anrücken. Gegen seine Pläne für den Symbolort regt sich Widerstand.
An die Bäume, die hier am Spreeufer einmal standen, erinnern nur noch Krater. Das fußballplatzgroße Feld ist eingeebnet, jedes Hindernis für die Bebauung ist beseitigt. In einer Baggerschaufel, die verloren auf dem Gelände steht, sammelt sich das Regenwasser.
Am Ende haben nur drei Wochen gefehlt. Ohne den vor ein paar Tagen erfolgten Start der Bauarbeiten wäre am 6. November die Baugenehmigung für den Münchener Investor Artur Süßkind ausgelaufen. Das Grundstück, das seit Jahren als Symbol schlechthin der Gentrifizierungsgegner gilt, hätte dann doch noch die Chance gehabt, nicht rein profitorientiert verwertet zu werden.
Es sind 16 Jahre vergangen, seit dem der erste Investor die Brache übernahm. 16 Jahre voller fehlgeschlagener Pläne und Pleiten, Politikversagen und Proteste durch die Nachbarschaft. 16 Jahre gescheiterter Investorenträume. Und nun passiert doch noch, was viele verhindern wollten.
Keine Freifläche, keine Wohnungen
Schlimmer hätte es dabei kaum kommen können. Als Freiraum ist die Fläche verloren, aber auch die im Wrangelkiez dringend benötigten Wohnungen entstehen nicht. Stattdessen soll das 11.000 Quadratmeter große Grundstück ausschließlich gewerblich genutzt werden. Geplant sind Büroräume und ein Hunderte Zimmer umfassendes Hotel im Hochpreissegment. Der Name des Projekts: „Neue Spreespeicher“.
Vor dem Mauerfall standen ein Bunker und Lagerhallen auf dem Gelände zwischen Spreeufer und Görlitzer Park.
1998 wollte ein Investor auf dem Areal ein Einkaufszentrum bauen, doch die Pläne scheiterten. Auch andere Bebauungspläne wurden in den folgenden Jahren nicht umgesetzt.
2012 plante BMW, sein Guggenheim Lab auf der Brache zu errichten. Rasch formierte sich Protest, Zelte wurden errichtet. Es entstand ein Hüttendorf mit bis zu 200 Einwohnern.
2014 brannte es im Dorf. Das Gelände wurde abgesperrt, die Hütten wurden geräumt. (rpa)
Im Stil backsteinerner Speichergebäude sollen zwei 30 Meter hohe Gebäudeflügel entstehen, die sich keilförmig bis zum Spreeufer hin öffnen. An der Schlesischen Straße werden die Häuser mit einer Glashalle verbunden mit Raum für Geschäfte und Restaurants. Kein Platz findet der einst im Volksbegehren „Mediaspree versenken“ geforderte 50 Meter breite Uferstreifen. Für Magnus Hengge von der Initiative „Bizim Kiez“, wurde hier eine „riesige Chance verspielt“. Er sagt: „An dieser Stelle wäre der einzige wirkliche Kreuzberger Zugang zur Spree möglich gewesen.“
Grundlage für den Plan ist eine alte Baugenehmigung aus dem Jahr 2001. Längst war sie in den Schubladen überkommener Stadtpolitik verschwunden, doch Süßkind kramte sie wieder hervor. Das war möglich, weil die einst unter Bausenator Peter Strieder (SPD) erteilte Genehmigung seitdem mehrfach verlängert wurde, wohl auch unter dem aktuellen Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Andernfalls wären wohl hohe Regresszahlungen auf den Senat zugekommen.
Profite statt Sozialwohnungen
Seit 2013 hatte Süßkind derweil auf ein anderes Projekt gesetzt. Unter dem Namen „Cuvryhöhe“ wollte er auf dem Gelände 250 Luxuswohnungen errichten. Doch Senat und Bezirk forderten eine Quote von 25 Prozent Sozialwohnungen sowie einen Kindergarten und einen Uferweg. Süßkind war das zu viel, dem Vernehmen nach war er lediglich bereit, 10 Prozent der Wohnungen im niedrigen Preissegment anzubieten. Im März gab er das Projekt endgültig auf.
Der Senat hatte angekündigt, die Baugenehmigung kein weiteres Mal zu verlängern. Die Planungsgrundlage wurde geändert, eine Gewerbebebauung sollte ausgeschlossen werden. Man erarbeite einen Alternativplan.
Noch im August hieß es aus dem Hause Geisel, man wolle auf dem Gelände Wohnraum schaffen – zu bezahlbaren Preisen. Bürgerbeteiligung inklusive. Bis Süßkind letzte Woche den Baubeginn anzeigte, wie Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) bestätigte.
Weder im Senat noch im Bezirk ist man glücklich über diese Entwicklung, auch wenn Panhoff sich im Tagesspiegel mit Kritik zurückhielt: „Es ist kein Baumarkt, auch kein Lagerhaus.“ Politisch ist, wenn das Bauvorhaben tatsächlich umgesetzt wird und die jetzigen Arbeiten kein Strohfeuer bleiben, nichts mehr zu machen.
Und auch für die Anwohner, die unter explodierenden Mieten und Touristenmassen leiden, wird der Widerstand schwierig. Hengge sagt dennoch: „Wir wollen dem Investor zeigen, dass er mit diesem Projekt nicht willkommen ist.“ Was genau das heißt, will die Initiative am Dienstagabend diskutieren. Das Interesse in der Nachbarschaft sei groß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity