Cukor-Ehrung in Locarno: Der Löwinnenbändiger
Beim Filmfestival von Locarno ehrt man in diesem Jahr George Cukor - unter dessen Regie glänzten seinerzeit Greta Garbo, und Katherine Hepurn.
Was für eine schöne, glamouröse, Gänsehaut erzeugende Vorstellung: eine Zirkusmanege. Auf den runden Podesten stehen Joan Crawford, Ingrid Bergman, Katherine Hepburn, Greta Garbo, Ava Gardner, Tallulah Bankhead und Audrey Hepburn. In der Mitte befindet sich ein Mann mit unscheinbarem Anzug und Brille, sein Blick ist wach und aufmerksam.
Willkommen im Universum des Löwinnenbändigers von Hollywood! So lautete der Beiname von George Cukor schon zu Lebzeiten. Durch seine Vorspannlisten wurden die großen Darstellerinnen jener Zeit erst zu dem, was sie waren. Manche, etwa Judy Garland in „A Star is Born“ (1954), verdankten Cukor, dem Sohn ungarisch-jüdischer Immigranten, ihren Durchbruch. Anderen verhalf er wiederum zum Imagewechsel. Eine mutige Joan Crawford spielte in „Die Frau mit der Narbe“ (1949) eine vom Schicksal innerlich verhärtete Frau, anstatt weiter die movie queen im klassischen Sinn zu geben.
Vor Cukors Kamera durfte Katherine Hepburn während der zehnfachen Zusammenarbeit beider (unter anderem „Die Schwester der Braut“, 1938) ihre Burschikosität ausspielen, sich schon auf dem Plakat von „Die Nacht vor der Hochzeit“ von Cary Grant und James Stewart gleichzeitig küssen lassen und die gewagtesten Hutkombinationen der Kinogeschichte tragen. Wenn James Stewart sie etwa, in einen Gedichtband versunken, in der Bücherei vorfindet, trägt sie ein keckes Gartenzwergmützchen, dessen nicht enden wollender Zipfel um ihre Schultern rankt.
Cukors beeindruckende Filmografie wirkt wie ein Testament von Hollywoods goldenen Jahren – aus weiblicher Perspektive. Für ihn, der sich nie als Filmautor verstand, war das Studiosystem ein Handwerksbetrieb. Und jedes Handwerk besitzt seine Meister. Cukor beherrschte das Spiel mit Licht und Schatten des Film noir, er experimentierte stets als einer der Ersten mit neuen Techniken wie Cinemascope oder Technicolor. Er bediente alle Genres, drehte Screwball-Komödien, Musicals, Psychothriller. Und auch bei seinem Ausflug ins Westerngenre spielte eine schöne Frau die Heldin: Sophia Loren schwang sich in „Die Dame und der Killer“ (1960) in den Sattel.
In seinem wohl berühmtesten und schon im Titel programmatischen Film „Die Frauen“ (1939) nahm Cukor es mit über 30 Darstellerinnen auf. Eifersüchteleien, Lästereien, Konkurrenzkämpfe, Intrigen, Seitensprünge, weibliche Träume und Sehnsüchte – sieht man den Film heute, dann weiß man, was die Frauenbilder von Serien wie „Desperate Housewives“, „Sex and the City“ oder „Girls“ George Cukor zu verdanken haben. Schon damals drehte sich alles um Liebe und Sex. Nur war die Anzüglichkeit subtiler. Wenn die Parfümverkäuferin Joan Crawford in „Die Frauen“ mit ihrem verheirateten Liebhaber telefoniert, wechselt sie unentwegt den Tonfall, mal ist sie das schnurrende Kätzchen, das seinen Schutz sucht. Mal die fauchende Tigerin, die ihre Krallen ausfährt. Dabei gleitet ihre Hand in einer wie unbewusst obszönen, aber eben auch harmlos zu interpretierenden Bewegung entlang der Telefonschnur mehrmals hoch und runter.
L’amour, l’amour
Alles ist gesagt, ohne dass es ausgesprochen werden muss. Eine der im wahrsten Sinne plastischsten Gestalten von „Die Frauen“ ist eine in die Jahre gekommene Gräfin. Im Zug zur amerikanischen Scheidungsstadt Reno gurrt sie zwischen Champagnerschlucken von „l’amour, l’amour“. Kaum in Reno angekommen, angelt sie sich einen jungen Cowboy, der am Ende wiederum der neue Liebhaber der Crawford wird. Dennoch ist dieser Cukor-Film, der sich um die Männer dreht, ohne dass ein einziger Mann zu sehen ist, mehr als ein frivoler Liebesreigen. Diese Komödie wird zur knallharten Gesellschaftsstudie, in der sich Frauen hemmungslos und selbstbewusst den sozialen Aufstieg erschlafen.
Was ist das für eine Alchimie zwischen Cukor und seinen Darstellerinnen? Welche Geheimnisse, die anderen verborgen blieben, wusste er über das andere Geschlecht? Und warum standen über drei Jahrzehnte hinweg amerikanische Diven Schlange, um sich von diesem Regisseur inszenieren zu lassen?
Bleibt man beim Bild des Löwinnenbändigers, so scheint Cukor im übertragenen Sinne tatsächlich manchmal mit der Peitsche gearbeitet zu haben. Viele seiner Filme handeln von Dressur, es geht um die Zähmung der Widerspenstigen durch einen meist durch Wissen überlegenen Mann: um die Intellektualisierung einer Sängerin („Die ist nicht von gestern“, 1950), um die Erziehung eines naives Mädchens mit Schauspielerinnenambitionen („Die unglaubliche Geschichte der Gladys Glover“, 1954), um die Domestizierung einer Straßengöre („My Fair Lady“, 1964). „Ja, Mr Higgins“ – am Ende dieses Musicals trägt Audrey Hepburn dem von Rex Harrison gespielten Professor die Hausschuhe hinterher, was bei diesem zufriedene Grunzlaute hervorruft. Endlich ist sie zu seinem Geschöpf geworden. Eine gemachte Frau! Und eben doch nicht, denn Cukors Storys lassen sich nicht als simple Pygmalion-Varianten abtun. Auch wenn hier die Herren der Schöpfung am Werk sein mögen, bekommt man es mit Frauen zu tun, die sich nicht verbiegen lassen, die sich treu bleiben, die entwaffnend komisch ihre Unbildung ausleben und dabei anarchistisch rüberkommen.
Mit großer Spielfreude, kokettem Hüftschwung und hintersinniger Gerissenheit führt Judy Holliday als Gangsterbraut Emma in „Die ist nicht von gestern“ das weibliche Stereotyp der naiven Blondine ad absurdum. Jeden ihrer Augenaufschläge vermag sie neu zu konnotieren – gelangweilt, herausfordernd oder wissbegierig. Zudem stattet Cukor sie mit einer Lebensgeschichte aus, die nicht nur William Holden, sondern auch den Zuschauer hellhörig für eine zerrissene Biografie werden lässt.
In „My Fair Lady“ betritt mit Audrey Hepburn nicht einfach nur eine Blumenverkäuferin Higgins’ Londoner Stadtvilla, sondern auch gelebtes Straßenleben, eine freche Cockney-Göre, die weiß, wie man sich durchs Leben schlägt und dabei eine gute Figur macht. Nebenbei wird jeder Auftritt der Hepburn als Eliza Doolittle zum modischen Spektakel. Wenn sie bei Doktor Higgins zum ersten Vorsprechen erscheint, macht sie mit wagenradgroßem Hut voller bunter Veilchen auf elegante Herrschaft, um später im zartrosa Outfit ihre natürliche Apartheid zu zelebrieren.
Vielleicht liegt genau hier der Zugang zu Cukors weiblichem Universum. Er forderte die Schönheit und das Selbstbewusstsein seiner Heldinnen gleichermaßen heraus. Die Genauigkeit seines Blickes, die psychologische Bandbreite seiner Figuren lässt ihnen einen Freiraum, den ihnen die Geschichten nur bedingt vergönnen.
Zeitlos moderne Charaktere
Cukors Frauen sprengen Konventionen und Rollenbilder, weil sie zunächst einmal subtil beobachtete, widersprüchliche und darin eben auch zeitlos moderne Charaktere sind. Auch wenn man wie Greta Garbo im Paris um 1850 lebt und das tragische Schicksal vorherbestimmt ist, weil man Alexandre Dumas’ „Kameliendame“ spielt. Schon der Vorspann eröffnet Garbos Titelheldin einen Laufsteg der unterschiedlichen Gefühlsregungen, Verhaltensweisen und Reaktionen. Auf einer Schrifttafel steht: „Marguerite Gautier schwamm auf dem Treibsand großer Beliebtheit, ihren Verstand erhellte sie mit Champagner und ihre Augen manchmal mit Tränen.“ Prompt sehen wir die Garbo im weißen Ballkleid in die Oper schreiten, ihre abgehobene Schönheit kontrastiert sie mit lasziver Selbstsicherheit. Mit einem Fernglas sucht sie aus der Loge die Parkettreihen ab. Ihr Blick fällt auf einen gut aussehenden jungen Mann, den sie zu sich winkt und sofort wieder zum Süßigkeitenholen schickt.
Greta Garbo wird auf ihre große Liebe verzichten, Katherine Hepburn wird sie meistens finden. Den unhappy und auch den happy endings von Cukors Filmen mag etwas Spießiges, Eindimensionales innewohnen. Auf dem Weg dorthin toben sich seine Diven aber in jeder Hinsicht aus: Bei Champagner-Gelagen lassen sie sich herrlich gehen, bewaffnet mit messerscharfem Wortwitz ziehen sie in den Geschlechterkrieg, proben den Aufstand mit der List der Vernunft. Oder sie ziehen sich zurück, um eine Runde zu schmollen. Bei Cukor machen Frauen einfach das, wonach ihnen der Sinn steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit