■ Clintons Nahostpolitik begann hoffnungsvoll. Nun ist sie an allen Fronten in der Krise geraten. Nicht nur in Israel: Cruise-Missiles und Politkosmetik
Vor fast genau drei Jahren standen sie zu dritt vor dem Weißen Haus, um einen historischen Friedensschluß zu besiegeln. Bill Clinton inszenierte sich als strahlender Gastgeber und weltpolitischer Zeremonienmeister. Jitzhak Rabin war von der Notwendigkeit des Friedens überzeugt, aber nur schwer zu bewegen, dem alten Erzfeind und neuen Partner Jassir Arafat die Hand zu reichen. Arafat selbst trat mit der linkischen Würde des ehemaligen Parias auf, der nun endlich auf der diplomatischen Bühne mitspielen darf. Der Augenblick war für viele bewegend genug, um sich einen Nahen Osten auszumalen, in dem Israel nicht mehr Bollwerk des Westens, sondern integrierter Teil der Region ist.
Und selbst jene, die nach diesem euphorischen Auftakt Ernüchterungen und Rückschläge prognostizierten, malten sich in ihren schlimmsten Träumen nicht aus, wie es um den „Friedensprozeß“ im Nahen Osten drei Jahre nach dem Handschlag von Washington bestellt ist. Der Mord an Rabin durch einen jüdischen Fanatiker und die Bombenanschläge durch palästinensische Fanatiker haben einen Premierminister mit dem trügerisch niedlichen Spitznamen Bibi an die Macht gebracht, dessen ausgewiesene Opposition gegen die „Osloer Abkommen“ in Kombination mit seiner Halbstarken- mentalität das Blutbad der letzten Woche maßgeblich provoziert hat. Auf der anderen Seite herrscht ein politisch schwer angeschlagener Jassir Arafat über selbstverwaltete Gebiete, deren Bevölkerung von Israel wirtschaftlich stranguliert wird, während seine Sicherheitstruppen das eigene Volk mit Korruption und die politischen Gegner mit Polizeiterror schikanieren. So gesehen kam die blutige Konfrontation zwischen palästinensischen Zivilisten und Polizisten sowie israelischen Soldaten auf der anderen Seite der Barrikade dem PLO- Chef gar nicht so ungelegen. Er hat zumindest die Loyalität der Palästinenser zu Arafat wieder gestärkt.
Vor allem aber hat dieser Kurzkrieg eines klar gemacht: Der „Friedensprozeß“ – wenn man ihn noch so nennen will – ist sehr wohl reversibel. Und im Falle seines Endes könnte statt einer neuen Intifada steinewerfender Jugendlicher der Krieg zwischen zwei, wenn auch höchst ungleich bewaffneten Gegnern stehen. Darüber ist sich auch die Clinton-Regierung blitzartig klar geworden. Deshalb lud der US-Präsident kurzfristig zum Krisentreffen nach Washington. Am Ende waren zwei Ergebnisse zu verzeichnen: Erstens die Erklärung, man werde nun in Kommissionen darüber reden, was im Rahmen der Osloer Abkommen schon längst hätte implementiert werden sollen. Genau darin dürfte bis auf weiteres die Strategie von Benjamin Netanjahu bestehen. Reden, neuverhandeln, hinhalten – aber nichts umsetzen. Zweitens Fernsehaufnahmen mit allen Beteiligten im Weißen Haus, wo sie mit ernsten Mienen ihren Wunsch nach Frieden äußerten.
Das konnte US-Präsident Clinton schon deshalb als Erfolg verbuchen, weil vor einer Woche noch niemand ein solches Bild für möglich gehalten hatte. Das Image der USA als Friedensstifter im Nahen Osten ist auf der Ebene der Photo- Op-Außenpolitik vorerst gewahrt. Bloß kaschiert diese hohle Symbolik kaum noch, daß die drei wichtigsten Säulen der US-Politik im Nahen und Mittleren Osten – der Friedensprozeß zwischen Israel und den Palästinensern, die Strategie des „double containment“ gegen den Irak und den Iran, sowie die US-Militärpräsenz in Saudi- Arabien – immer brüchiger werden.
Ersterer ist derzeit weder friedlich noch ein Prozeß. Die Strategie der „doppelten Eindämmung“ gegen Bagdad und Teheran funktioniert nicht mehr. Das zeigt sowohl der Widerstand der Europäer, die aus unterschiedlichen Motiven mit den beiden „Paria-Staaten“ Irak und Iran anders umgehen wollen. Das zeigte vor allem auch die letzte militärische Strafaktion gegen Saddam Hussein, aus der sowohl der irakische Diktator als auch das iranische Regime als strategische Gewinner hervorgingen. In Saudi- Arabien schließlich, wo eine massive Militärpräsenz und die bedingungslose Unterstützung des saudischen Königshauses das nationale Interesse der USA an billigem Erdöl sichern sollen, signalisieren Bombenanschläge gegen US-Einrichtungen auf brutale Weise den Antiamerikanismus innerhalb von Teilen der Bevölkerung.
Diesen wahrzunehmen – ja überhaupt Stimmungen, Strömungen, Basisbewegungen in arabischen Ländern zu registrieren und als politische Faktoren zu betrachten – ist einer der größten Schwachpunkte der amerikanischen US-Politik. Das endete schon einmal – im Iran nach dem Sturz des Schah – mit einem Debakel für die USA. Ein zweites könnte sich in Saudi-Arabien wiederholen.
Die Frage ist nun, ob Bill Clinton im Fall seiner Wiederwahl Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten nach altem Muster weiterführen oder ein paar grundlegende Überlegungen anstellen will. Ohne massiven Druck auf Netanjahu und massive Wirtschaftshilfe für die palästinensischen Gebiete, gekoppelt mit der Forderung an Arafat nach Grundrechten und Demokratie, wird der „Friedensprozeß" zwischen Israel und den Palästinensern in einem Desaster enden – noch bevor Bill Clinton seinen zweiten Amtseid abgelegt hat.
Ohne eine Neubestimmung der Irak-Politik wird das militärische Katz-und-Maus-Spiel zwischen Saddam Hussein und den USA weitergehen, während das Wirtschaftsembargo verheerende Folgen in der irakischen Zivilbevölkerung anrichtet und gleichzeitig Saddams Macht stabilisiert. Unter diesen Voraussetzungen aber ist ein Embargo kein politisches Druckmittel, sondern eine eklatante Menschenrechtsverletzung.
Last, not least: Ohne einen Richtungswechsel in der Energiepolitik werden die USA (und alle anderen Industrieländer) in wenigen Jahren völlig unvorbereitet – und entsprechend unberechenbar – in den Konkurrenzkampf mit China und anderen asiatischen Nationen um Erdöl schlittern. Darüber muß sich Bill Clinton nicht mehr den Kopf zerbrechen, wohl aber sein möglicher Nachfolger Al Gore, dessen Ideen zu Ökologie im allgemeinen und Energiesparen im besonderen in den letzten vier Jahren völlig in der Versenkung verschwunden sind.
Clinton wird sich schnell entscheiden müssen, ob er im Nahen und Mittleren Osten langfristige außenpolitische Initiativen entwickeln will – oder weiterhin Krisenmanagement zwischen diplomatischer Kosmetik und Cruise-Missiles betreibt. Andrea Böhm
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