Cream of Crime: Manifestationen eines irren Geistes
■ Beunruhigender als die üblichen Unholde aus der Geisterbahn: Michael Connellys „Der Poet“
Tausend schlechte Serial-Killer-Romane schließen nicht aus, daß es auch gute geben kann. Bisher kannte ich fünf, sechs davon, mit Michael Connellys „Der Poet“ ist einer dazugekommen.
Connelly erspart uns die üblichen Überbietungsspielchen. Wir schleichen nicht mit dem Mörder durch die Nacht und müssen nicht zugucken, wie schön er metzelt. Wir müssen nicht in dampfendem Gedärm und diversen Körperöffnungen rumpütschern und uns auch keine ausgewalzten hausgemachten Philosophien anhören, mit denen die Kollegen Schlitz & Hack zu langweilen pflegen.
Connellys Mörder garniert zwar seine Untaten mit Edgar- Allen-Poe-Zitaten und kargen Selbstdarstellungen. Die aber sind nur das, was sie sind: Manifestationen eines ziemlich irren Geistes und nicht mit der üblichen künstlichen Dignität des vermeintlich Substantiellen ausgestattet.
Das verhindert auch den öden Interpretationshaken, Serial Killer seien Popikonen und deswegen irgendwie subversiv oder sonstwie tabubrechend oder schick. Dieser Killer ist keineswegs der mittels Gewalt kommunizierende Outsider im großen Roadmovie des Lebens. Und folgerichtig verzichtet Connelly auf eine klare Erklärung und Motivation des Killers. Daß er als Kind vielleicht vom Töpfchen geschubst wurde, reicht nicht aus.
„Der Poet“ ist bedeutend beunruhigender als die üblichen Unholde aus der Geisterbahn, und diese Beunruhigung inszeniert Connelly geschickt mit einem Sample von verzerrten Spiegelungen. Jack McEvoy, der Held des Romans, „lebt vom Tod“. Er ist Kriminalreporter und der Mann für besonders eklige Verbrechen in Denver, Colorado. Sein Bruder, ein Detective, wird ermordet. McEvoy wird als Angehöriger plötzlich eine Figur aus seinen eigenen Reportagen.
Alles deutet auf Selbstmord hin, aber nach Recherchen des Reporters ist auch dem FBI klar, daß überall im Land Polizisten, die besonders scheußliche Verbrechen an Kindern und Frauen aufzuklären haben, „Selbstmord“ begehen. Bei allen taucht ein Hinweis auf Poe auf. Die Kinder- und Frauenmorde, also die ureigene Domäne der Serial Killer, scheinen lediglich „Ködermorde“, die Polizisten anlocken sollen und sie zum Opfer des „Poeten“ prädestinieren. Oder? Ganz so einfach ist es nicht.
Die berühmten Profiler des FBI sind so von ihrem Profiling und von ihrem Können überzeugt, daß sie gar nicht merken, welche fürchterlichen Pannen und Fehler sie machen, wenn sie alles Übel der Welt einem einzigen Serial Killer in die Schuhe schieben wollen. Sie merken auch nicht, wie sehr das übliche Wechselspiel zwischen Killer und Medien und deren gegenseitiges Sich-Bedingen die Wahrnehmung von Komplexitäten unscharf macht, weil man dieses Bedingungsverhältnis schon für teuflisch raffiniert hält. Die schon obsessive Dauerbeschäftigung mit einem bestimmten Tätertyp bleibt nicht ohne Folgen: „Jedes Bruchstück reflektiert einen Teil des Subjekts. Aber wenn sich das Subjekt bewegt, bewegt sich auch das Spiegelbild“, heißt es frei nach Heisenberg.
Connellys Roman ist auch deshalb so gelungen, weil er ohne Frivolität mit dem Umstand spielt, daß Serial-Killer-Romane literarische Kunstprodukte sind und Serial Killer ohne literarische (oder sonstige mediale) Vermittlung gar nicht funktionieren – weder im Leben noch in der Kunst. Leben und Kunst stehen eben in einem hochprekären und vor allem uneindeutigen Spiegelverhältnis, und aus dieser Konstellation hat Connelly einen weit überdurchschnittlichen Roman gemacht. Thomas Wörtche
Michael Connelly: „Der Poet“. Roman. Deutsch von Christel Wiemken. Heyne Verlag, München 1998, 479 Seiten, 39,80 DM
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