Country & Eastern, Singen vom Iran bis nach Byzanz: Chillout-Zone für die Ohren
Ausgehen und Rumstehen
von Thomas Mauch
Wer mit so einer ausgesuchten Freundlichkeit begrüßt wird wie am Donnerstag in der Villa Elisabeth, mit einem Umsorgen bis hin zu den Platzierungsfragen, der weiß, dass es sich hier bestimmt nicht um ein handelsübliches Berliner Popkonzert handeln kann.
War es auch nicht. Es war etwas ganz Besonderes. Eigentlich fehlte an diesem Abend nur noch die Tasse Tee zur passgenauen Abrundung des Eröffnungskonzerts vom „Female Voice of Iran“-Festreigen. So viele Sängerinnen hatten da das Wochenende über ihren Auftritt, dass man Angst haben musste, dass da zeitgleich in Teheran kaum noch was los sein konnte auf den Bühnen. Wobei da ja singende Frauen in der Öffentlichkeit nicht so gern gehört werden, von offizieller Seite aus.
Dass man doch bitte sehr auf Fotos und das Filmen verzichten solle, hieß es auch gleich bei der Begrüßung, wegen der „politischen Situation“. Und dass man bei dem von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Projekt „magische Musik“ hören werde. Was stimmte. Eine fein ziselierte, sehnsüchtige Musik. Schmerzlich unterfütterte melancholische Lieder. Eine Art Country & Eastern.
Experimentelles Hören
Zur Einstimmung gaben – eine nach der anderen in einem schönen Fluss – alle Sängerinnen des Festivals eine Kostprobe. Unbegleitet von Instrumenten. Nur die Stimme und der Gesang. Klagen. Wiegenlieder. Nicht alle der Sängerinnen trugen ein Kopftuch. Eine tat es nicht. Was musikalisch ohnehin keinen Unterschied machte. Von irgendwelchen besonderen Kopfbedeckungen nichts zu berichten gibt es, soweit ich das recht überblickte, von der MaerzMusik. Eine „Factory des experimentellen Musikhörens“ will das Festival sein, dem man sich noch die ganze Woche durch bis Sonntag hingeben kann.
Die ganze Bandbreite dieses nicht nur die Hörgewohnheiten auf die Probe stellenden Festivals durfte man am Samstag durchmessen, an dem sich die MaerzMusik als Plattform a) für experimentellen Film, b) für gegenwärtige musikalische Ratlosigkeit und c) für mittelalterliche Gesangskunst gleichermaßen präsentierte. Wobei c dann bedenkenswerterweise am schönsten war.
Doch auch das Filmexperiment hatte seinen unbedingten Reiz. „Island Song“, ein Video des US-Minimalisten und Installationskünstlers Charlemagne Palestine aus dem Jahr 1976, das einen in einer mehrminütigen und ungeschnittenen Kamerafahrt gefangennahm, während in dem Video einer unentwegt stöhnte: „I’ve got to get out of here.“ Als geduldiger MaerzMusik-Zuhörer unterdrückte ich einen eventuellen Fluchtimpuls, und das tat das Publikum auch – bis auf wenige, wirklich vernachlässigbare Ausnahmen – beim anschließenden Auftritt von Eva Reiter mit dem Ensemble Ictus, der reichlich bemüht und sehr auf Effekte bedacht vorschlug, dass man sich einen avancierten Liederabend wohl als eine Mischkalkulation aus Laurie Anderson und Frank Zappa vorstellen soll.
Dann wechselte man am Samstag vom Haus der Berliner Festspiele in die nahegelegene Kirche am Hohenzollernplatz, wo die Gruppe Graindelavoix mit einem betörenden Gesang eine Chillout-Zone für die Ohren einrichtete. Byzantinische und andere mittelalterliche Gesänge, einst als Übung in Metaphysik und zur spirituellen Erbauung gedacht – an dem Abend waren sie ein prima Hilfsmittel zur musikalischen Entschlackung.
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