Corona verschärft Rassismus: Ein Stigma, das bleibt
An vielen Orten werden Migranten und Flüchtlinge gerade als „Überträger“ weggesperrt. Die Gefahr einer dauerhaften Stigmatisierung wächst.
M it rasender Geschwindigkeit verschärft Covid-19 den Fremdenhass und den Rassismus weltweit. Angst und Hass gegenüber Fremden als mutmaßlichen Krankheitsüberträgern sind gegen bestimmte Gruppen gerichtet, etwa asiatisch aussehende Menschen, häufig aber auch ganz allgemein gegen Flüchtlinge und Migranten. Solche xenophoben Stimmungen zeigen sich, wenn Trump behauptet, Migranten seien für die Ausbreitung der Infektion in den USA verantwortlich, wenn Orbán das Coronavirus mit „illegalen Migranten“ in Ungarn in Verbindung bringt, wenn Salvini afrikanische Migranten in Italien beschuldigt und in vielen afrikanischen Ländern Fremdenhass grassiert.
Derlei Stimmungsmache führt zu gezielten Bewegungseinschränkungen für Migranten und Flüchtlinge, die zurzeit an weit voneinander entfernten Orten zu beobachten sind: an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, in Griechenland, im Libanon, in Bosnien und in Singapur. Gesundheitsexperten bezeichnen solche Maßnahmen als den sichersten Weg in eine humanitäre Katastrophe, während Juristen sie als Menschenrechtsverletzungen anprangern. Politische Entscheidungsträger hingegen beharren darauf, dass das pauschale Wegsperren bestimmter Kategorien von Personen der öffentlichen Gesundheit dienen kann.
Stigma führt zu gesundheitlicher Ungleichheit
Diese Maßnahmen kommen den Bevölkerungsgruppen sehr gelegen, die misstrauisch gegenüber „Ausländern“ sind, vor allem solchen ohne gültige Papiere, gegenüber Asylsuchenden oder Geringqualifizierten. Wenn es unter eingesperrten Migranten und Flüchtlingen zu massenhaften Infektionen mit dem Coronavirus käme, würde sich eine düstere Prophezeiung selbst erfüllen: dass Migranten und Flüchtlinge eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit seien.
So könnten durch die Pandemie geschürte Vorurteile und gegenseitige Schuldzuweisungen zum Stigma werden: Einer ganzen Gruppe von Menschen wird ein Stempel aufgedrückt und behauptet, sie seien faul oder ließen es an Hygiene mangeln. Die Betroffenen leiden unter einem niedrigen Status, unter Vorurteilen und Diskriminierung, die ihre sozialen Beziehungen, ihr Ansehen in der Öffentlichkeit, aber auch institutionelle Strukturen wie Polizei, Gerichte oder Arbeitsämter beeinflussen. In der Folge führt das Stigma zu gesundheitlicher Ungleichheit und verstärkt diese.
Es besteht die Gefahr, dass der gegenwärtige Umgang mit Migranten und Flüchtlingen zu ihrer Stigmatisierung als Krankheitsüberträger führt, die noch lange nach dem Abklingen der Coronakrise anhalten könnte. Dies könnte zu neuen Formen des ‚ethnic profiling‘ ermutigen – bei Grenzkontrollen etwa, wo durch biometrische Verfahren mutmaßlich Gesunde von Menschen mit einem Gesundheitsrisiko unterschieden werden könnten.
Ein Stigma lässt sich nur schwer wieder beseitigen. Das wird sich vor allem in der Welt nach Covid-19 erweisen, wo viele Menschen direkt unter der Krankheit, dem Verlust ihrer Angehörigen oder des Arbeitsplatzes, finanzieller Not und familiären Spannungen wegen des Lockdowns gelitten haben werden. Darauf werden viele vermutlich mit Angst und Schuldzuweisungen reagieren. Das könnte zu weiterer Diskriminierung führen, zu Feindseligkeit und Gewalt.
HIV-Aufklärungskampagnen als Vorbild
Was es jetzt braucht, sind Schritte zur präventiven Entstigmatisierung. Das erfordert eine Reihe von Maßnahmen, um öffentliche Darstellungen, in den Medien, in der Politik und in der Werbung, sowie Verfahren, etwa in der Einwanderungs-, Integrations- und Sozialpolitik, zu verändern. Ein solcher Wandel muss von Regierungen und hochrangigen Persönlichkeiten initiiert und getragen werden. Als Beispiel könnten die Aufklärungskampagnen dienen, die dazu beitrugen, die Stigmatisierung HIV-Infizierter in den 1980er und 1990er Jahren zu vermindern.
Damals zeigte man, dass HIV-Infizierte Menschen waren wie alle anderen. Solch ein Wandel in der öffentlichen Darstellung von Migranten und Flüchtlingen, vor allem im Zusammenhang mit Covid-19, sollte nicht darauf beschränkt sein, stereotype Vorstellungen von Merkmalen zu widerlegen, die einer fremden „Kultur“ oder einem fremden Gruppenverhalten zugeschrieben werden.
Ein erster wichtiger Schritt besteht darin, zu vermitteln, dass Migranten und Flüchtlinge Kategorien sind, die eine große Vielfalt aufweisen, etwa in Bezug auf ihren Rechtsstatus, ihre Migrationswege, Nationalitäten und Volkszugehörigkeiten, auf ihre Geschlechter- und Altersprofile. Diese grundlegende Tatsache – dass Migranten und Flüchtlinge sich untereinander sehr stark unterscheiden und sehr verschiedene Erfahrungen gemacht haben – muss immer wieder betont werden.
Auch die Schuldzuweisungen sollten durch die Entstigmatisierung unterbunden werden, indem die strukturellen und sozioökonomischen Bedingungen und die Verletzlichkeit vieler Migranten und Flüchtlinge aufgezeigt werden, so wie es das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gerade tun.
Es sollte sich die Einsicht durchsetzen, dass „die da“, also Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, sich gar nicht so sehr unterscheiden von „uns“, die wir in unserer Heimat sicher leben können. Migranten und Flüchtlinge sind Menschen, die oft unter furchtbaren Bedingungen leben müssen. Statt sie als Gefahr für alle anderen anzusehen, sollte man anerkennen, dass sie durch die häufig schrecklichen Lebensbedingungen viel eher Gefahren ausgesetzt sind als der Großteil der Weltbevölkerung.
Migranten und Flüchtlinge verdienen mehr Verständnis, Mitgefühl und Anteilnahme, mit einem Wort: mehr Empathie – das genaue Gegenteil eines Stigmas, das bleibt.
Aus dem Englischen von Eva Völker
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