Corona verlängert Ruderer-Karriere: Alles auf Anfang
Für das Ziel Olympiasieg mit dem Deutschland-Achter muss Ruderer Richard Schmidt nun noch ein Jahr ackern – und sich Konkurrenten vom Leib halten.
Ostern war ungewöhnlich für Richard Schmidt. Er war zu Hause und nicht irgendwo in der Welt unterwegs bei einer Ruderregatta. Er konnte für seine einjährige Tochter den Osterhasen spielen und musste nicht schon morgens um acht Uhr auf dem Wasser seine ersten Runden drehen. Eine schöne Sache für den 32-jährigen Ruderer aus Trier, der in Dortmund lebt und trainiert und der älteste und am höchsten dekorierte Athlet der aktuellen Besatzung des Deutschland-Achters ist.
„Ich sage lieber der Erfahrenste, nicht der Älteste“, korrigiert Schmidt. Und so schön der Osterhasenjob sei – ihm wäre es lieber gewesen, wie geplant mit den Kollegen beim Weltcup-Auftakt in Italien anzutreten. In der Sonne zu rudern, anstatt auf dem Ergometer Schweiß zu vergießen. Die Tage bis zu den Olympischen Spielen in Tokio zu zählen, anstatt ein weiteres Mal den gnadenlosen Kampf um die Plätze im Prestigeboot des Deutschen Ruderverbands (DRV) vor der Brust zu haben.
Aber das Coronavirus hat auch im Rudern alles auf Anfang gestellt. Olympia findet erst im nächsten Sommer statt. Der Saisonauftakt ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Niemand rechnet damit, dass vor August auch nur ein einziger Wettkampf stattfinden wird. „Wir hatten gerade die Selektion überstanden“, sagt Schmidt. Die Plätze waren vergeben, das Team benannt, nun sollte der Vergleich mit den Flaggschiffen anderer Nationen beginnen.
So ein Ruderjahr teile sich normalerweise in zwei Phasen, sagt Schmidt. Da ist zum einen der Winter, eine Zeit der Plackerei. Morgens um sechs oder sieben Uhr werden bei Regen, Wind und Dunkelheit auf dem Wasser Kilometer geschrubbt, im Kraftraum müssen enorme Gewichte gestemmt und auf dem Ergometer Wattleistungen weggezogen werden, mit denen sehr viele Glühbirnen ganz schön lange zum Leuchten gebracht werden könnten.
Extreme Belastungen
In dieser Phase steckten viel Schweiß, viel Verzicht auf gemeinsame Stunden mit Familie und Freunden oder eine berufliche Karriere, extreme körperliche Belastungen und ein enorm hoher psychischer Druck, erklärt Richard Schmidt.
Warum er das trotzdem schon so lange mitmacht? Er sitzt seit 2009 im Deutschland-Achter. So lange wie kein anderer seiner Kollegen – abgesehen von Steuermann Martin Sauer. „Ganz schön dumm, nicht wahr? Ich lerne nicht dazu“, sagt Schmidt. Das Coronavirus ärgert ihn gerade echt. Aber seinen Humor hat er nicht verloren.
Warum also? Weil auf die erste ja immer diese zweite Phase einer Saison folgt. Der Sommer. Das „Schönwetterrudern“, wie Schmidt es nennt. Körperlich nicht weniger anstrengend, aber Balsam für die Seele. „Im Sommer ganz früh morgens über das glatte Wasser zu rudern, das macht einfach Spaß“, sagt Schmidt. Das Team steht. Das große Ziel, sei es Olympia, eine WM oder eine EM, rückt näher. Es werden Erfolge gefeiert. Wenn es gut läuft – und für den Deutschland-Achter läuft es traditionell sehr gut – ist der ultimative Sieg dabei. Richard Schmidt hat das bereits 15-mal erlebt. Er ist Olympiasieger 2012, 6-mal Weltmeister und 8-mal Europameister.
„Und jetzt fällt die coole Phase einfach aus“, sagt er. Ein solcher Dämpfer ist neu für ihn. Er kann die Enttäuschung nicht verbergen. Nach Tokio 2020 wollte sich der studierte Wirtschaftsingenieur seiner Promotion widmen. Er befand sich auf der Zielgeraden seiner langen Ruderkarriere. Hatte die Jungspunde noch einmal auf Distanz gehalten und mit seinem Zweierpartner Malte Jakschik die internen Ausscheidungen gewonnen.
Druck von den Jungen
Der Älteste ist nicht nur der Erfahrenste, sondern auch noch immer der Beste. „Aber es ist brutal hart“, sagt er. „Ich merke, dass die Jungen auch gewinnen wollen, die drücken von hinten, man muss immer dran bleiben und hart an sich arbeiten.“
Jetzt also noch ein Jahr länger. Das Coronavirus hat Schmidts Planung über den Haufen geworfen. Seine Frau, seine Tochter, die Professoren an der Uni – sie alle müssen nun ein Jahr länger auf ihn warten. Richard Schmidt rudert weiter. Denn: „Der Weg nach Tokio ist länger und steiniger geworden, aber er ist ja noch da, das Ziel ist geblieben.“ Und das lautet, wie könnte es anders sein: Olympiasieg.
2012 in London gab es Gold für den Deutschland-Achter, 2016 unterlag man dem großen Rivalen Großbritannien. Das bedeutete Silber – und wirkte doch wie eine Niederlage. „Wir sehen das auch so, das macht es so schwer, deshalb ist der Druck für uns alle so hoch.“
Seit 2017 sind Schmidt und sein Team nur einmal Zweiter geworden, in einem Weltcup. Sie sind amtierende Welt- und Europameister. Aber dieser eine Triumph soll noch her. Jetzt eben 2021 in Tokio. Ruderer des Olympiakaders dürfen unter Auflagen wieder aufs Wasser. Bis Sonntag hat Achtertrainer Uwe Bender seinen Mannen noch frei gegeben, trainiert wird nur individuell zu Hause. Dann geht es zusammen weiter. Wenigstens noch ein bisschen „Schönwetterrudern“ genießen, zur Not eben ohne Regatten.
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