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Corona und EinkaufenApnoe im Späti

Nicht nur unter Wasser muss man die Luft anhalten, sondern neuerdings auch im Kiosk. Der Einkauf darf deshalb nicht länger als zwei Minuten dauern.

Und weiter Luft anhalten! In einem Späti in Berlin Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

B eim Apnoetauchen lernt man, lange die Luft anzuhalten. So kann man unter Wasser den Tieren nahekommen, ohne sie mit dem Blubbern von Pressluftflaschen zu verschrecken. Auch Haie kommen so näher an einen ran. Die sind nämlich die größten Angsthäschen des Ozeans, müssen Sie wissen, und es verhält sich vielleicht ähnlich wie mit Elefanten, die Angst vor sehr kleinen Dingen wie Mäusen haben sollen. Haie haben eben Angst vor kleinen Luftblasen, wenn’s am Bauch kitzelt und sie wissen nicht, warum.

Coronabedingt hatte ich also genug Zeit in diesen Wochen, wieder ins Training zu kommen. Auf der Couch zu liegen und die Luft anzuhalten hat eine beruhigende Wirkung. Die Meditation der Atempause passt zu den Achtsamkeitsstrategien, zu denen solche Homeoffice-Privilegierten wie ich nun gedrängt werden.

Irgendwann möchte man aber die Schwierigkeitsstufe erhöhen. Nicht nur fürs Nirwana herum meditieren, sondern rein ins Getümmel und die hart erkämpften Apnoetalente alltagstauglich machen: Coronasport Späti-Apnoe.

Da ich derzeit nicht in den Tauchurlaub reisen kann, liegt ein Kurztrip in einem Kiosk nahe, denn wie Sie wissen, ist Luft anhalten derzeit nicht nur ein Bonmot, sondern auch an Land eine Überlebensstrategie. Also habe ich mit meinem Späti eine Abmachung getroffen. Mit meinen zwei Spätis genau genommen.

Denn wenn man sich in den 2000ern noch fragte „Wie viele Galerien passen in die Auguststraße“, so fragt man sich nun: „Wie viele Spätis passen eigentlich in die Wrangelstraße?“ Ich brauche bei beiden keine Maske, sondern halte die Luft an, während ich mich mit meinen Bedürfnissen zur Nacht eindecke.

Viel Luft in den Torso

Beziehungsweise habe ich ihnen gesagt, dass ich statt Schutzmaske mit Taucherbrille und Schnorchel antanzen werde, wenn sie da nicht mitspielen. (Auch wenn ich weiß, ich hätte die Gunst der Stunde nutzen sollen, als Masken noch Mangelware waren und Provisorien akzeptabler erschienen.) Auf der Couch, ruhig liegend, schaffe ich drei Minuten Atempause. 3,43 Minuten höchstens. Wenn man sich bewegt, wird der Sauerstoff aber in Nullkommanix verjubelt.

Wenn ich im Späti herumschlendere, schaffe ich nur zwei Minuten. Das passt, um Gemüsechips, Eis oder ein Bier zu erwerben, aber nur, wenn alles am gewohnten Platz steht und ich nicht ewig mit fragendem Blick suchend vor der Auslage stehe, während sich in meinem Gehirn die von Sauerstoffarmut induzierte Sinnestäuschung ausbreitet.

Vor der Tür sauge ich also demonstrativ viel Luft in meinen Torso, zuerst in den Buddha-Bauch, dann die geblähte Brust und schließlich ziehe ich die Schultern hoch, um deutlich zu machen, dass meine Lungen wirklich bis zum letzten Zipfel voll mit Sauerstoff sind. Nun verschließe ich meinen Mund mit der Hand und tauche in die Untiefen des Kiosks ein, betrachte die Leute darin wie Fische und möchte bitte ob dieser Zirkusnummer keine Kritik hören!

Aber die Fische im Späti entrüsten sich hin und wieder über mich Maskenlose. Da bleiben mir nur zwei Alternativen: Erklärungsnot oder Atemnot! Erklärungsnot, weil ich mich nicht wehren kann, denn zum Erklären meiner Apnoestrategie reicht der Sauerstoff in meinen Lungen dann doch nicht. Atemnot, sollte ich doch zu einer Erklärung ausholen, weil meinen Gegenübern der Corona-Geduldsfaden reißt und zum Hai wird. Normalerweise rettet mich die Verkäuferin. „Apnoe? Wie?!“ – „Luft anhalten, dat kann die!“

Ich schwöre, ich schummle nicht und atme am Ende durch die Nase, auch wenn ich schon mit zitternden Fingern meine Münzen aus dem Portemonnaie krame und den 10er nicht finde. Schließlich bin ich mit meinem Asthma Risikogruppe. (Verpetzen Sie mich bitte nicht bei meinem Taucharzt.)

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