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Cornelia Funke auf LesetourDer goldene Schmarrn

Die Autorin ist ein Phänomen. Jetzt liest sie aus ihrem „Goldenen Garn“ vor. Leider zeichnet sich das Buch durch enttäschende Homogenität aus.

Würde das Publikum auch begeistern, wenn sie Beipackzettel vorliest: Cornelia Funke. Bild: dpa

BREMEN taz | Hingehen? Aber selbstverständlich sollte man da hingehen, wenn man die Gelegenheit bekommt und Karten ergattert. Cornelia Funke ist ein Phänomen, das sich längst nicht mehr mit den Mitteln der Literaturkritik fassen lässt – und dessen Langzeitwirkung, schließlich wird sie vor allem als Kinder- und Jugendbuchautorin wahrgenommen, uns noch bevorsteht: Wie tief prägen doch die ersten Lektüren!

Wenn also Funke am 5. März in der Bremer Glocke ihre insgesamt nur viertägige Deutschland-Tournee startet, und tags darauf in Hamburg im Schauspielhaus gastiert, dem größten deutschen Sprechtheater – die 1.200 Plätze werden ausverkauft sein –, dann ist jeder dieser Auftritte ein bedeutendes kulturelles Ereignis. Nein, das sollte man nicht verpassen.

Seine Erlebnis-Qualität hängt dabei kaum mit der literarischen Qualität des neuen Romans aus der Reckless-Reihe zusammen. Klar, „Das Goldene Garn“ ist vor zehn Tagen herausgekommen, das ist der Anlass des Auftritts. Und klar liest Funke aus diesem Band vor.

Vermutlich wird sie, wie bei der Tour zum ersten Band der Reihe wieder im adäquat-beflügelten Feenkostüm, begleitet von Trailer-Musik auf eine neobarock gestaltete Bühne schreiten. Aber: Jede Wette, sie könnte von dort auch das Publikum in Bann schlagen, indem sie leicht raunend Beipackzettel rezitiert.

Die Tour

Cornelia Funke: Reckless – Das Goldene Garn, Dressler 2015, 464 S., 19,99 Euro.

In Lesungen: 5. 3., 18 Uhr, Glocke, Bremen; 6. 3., 18 Uhr, Schauspielhaus, Hamburg; 07.03., 16 Uhr, Theater an der Parkaue in Berlin; 08.03., Theaterfabrik Sachsen, Leipzig.

Piraten-Bilderbuch und anarchische Advents-Erzählung

Und das zurecht: Funke hat ja längst geliefert. Sie ist längst eine Art globale Marke. Ihre Romane sind in 40 Sprachen übersetzt. Und während die auf einem ähnlich hohen Verkaufszahlenlevel im Kinder- und Jugendbuchsegment rangierenden Philipp Pullman, Joanne K. Rowling oder gar die schmalzige Stephenie Bloß-kein-Sex-vor-der-Ehe-Meyer Eintagsfliegen zu bleiben scheinen, hat Funke ein extrem vielgestaltiges veritables Oeuvre vorgelegt.

Es reicht vom witzigen Piraten-Bilderbuch über die rührend anarchische Advents-Erzählung mit dem vom Himmel gefallenen Weihnachtsmann Niklas Julebukk bis zur grandiosen Mädchen-Gang-Reihe, und klar: weit darüber hinaus.

Sobald sie etwas neues veröffentlicht, sorgt das für Bewegung auf den Bestsellerlisten, auch wenn ihre Romane die Zielgruppenfixierung längst abgelegt haben. Die Reckless-Bände sind zwar jugendfrei, und verhandeln Mythen und Märchenmotive, wenden sich aber ganz sicher nicht an Kinder.

So tendiert auch „Das Goldene Garn“ deutlich Richtung Dark-Fantasy. Leider weist es dabei einige der verbreitetsten Mängel des Subgenres auf: Da ist einmal das weitgehende Fehlen von Komik oder gar Selbstironie.

Das geht einher und wird bedingt durchs Vorherrschen eines bedeutungsschwanger raunenden Tons, der durch in drei Punkten auströpfelnden Phrasen artikuliert, im Modus unbeantworteter Fragen und zahlreicher Ein-Satz-Absätze: „Warum war Kami’en nach Osten gereist?“, Absatz. „Nicht wegen ihr“, Punkt, Absatz. „Nein“, Punkt, Absatz.

Erzählen von der Anderswelt

Und schließlich neigt dieses Erzählen von einer Anderswelt dazu, sich in überraschend reaktionären Plattitüden zu kristallisieren. Einige tun beim Lesen richtig weh: „Eine Frau ist immer auf der Seite der Liebe, Fuchsschwester“, so verabschiedet sich die Zwergin Ludmilla, eine rein affirmativ gezeichnete Figur, „die Männer sind auf der Seite der Macht“.

Gnome sind schon bei Paracelsus für die Verkündung goldener Weisheiten zuständig. Manche behaupten, das täten die geizigen Scheißkerle, um die echten Schätze für sich behalten zu können.

Vielleicht lässt sich solcher Schmarrn, wohltimbriert vorgetragen, besser aushalten. Wen der übrige Text literarisch und erzählerisch überzeugt, der stört sich wohl weniger an solchen Sentenzen.

Die Brüder Jacob und Will Reckless bewegen sich getrennt voneinander und hintereinander her durchs Märchenland gen Osten – der eine mit einer Armbrust im Täuschsack, die auch Unsterbliche töten kann, plant im Auftrag des Elfenkönigs Oberon die dunkle Fee zu töten.

Der andere, Jacob, ist Oberon auch noch was schuldig und jagt Will hinterher, wobei ihn seine Freundin Celeste alias Fuchs – sie kann sich in das Tier verwandeln – begleitet: Das goldene Garn ist die Liebe, die sie verbindet.

Eher en passant und ohne es zu ahnen rettet Jacob dabei den eigenen Vater, John, der schon in deren Kindheit die Brüder im Stich gelassen hatte, um sich in der Anderswelt als Kriegswaffen-Erfinder mit dem Wissen des 20. Jahrhunderts einen Namen und durch Seitenwechsel viele Feinde zu machen. Derzeit steht er im Solde Albions, zuvor aber hat er den Goyl gedient.

Goyl sind eine Art kampfstarker, steinhäutiger Untermenschen. Sie wirken eher bösartig und leben ausweislich der – auch von Funke gezeichneten – Fantasie-Landkarte des Buchs dort, wo in der Wirklichkeit Polen liegt: Da hätte man sich vielleicht von einer deutschen Autorin etwas mehr Feingefühl beim Fabulieren wünschen dürfen.

An anderer Stelle steht das sich selbst im Wege: Denn während das Personen- und Motiv-Inventar groß und heterogen ist – neben dem Fundus orientalischer und russischer Märchen fallen Astrid-Lindgren-Reminiszenzen auf –, gewinnen sie über ihre Nennung kaum Profil.

Alle sprechen die selbe Sprache

Das liegt daran, dass sich die Sprache des Buchs durch eine enttäuschende Homogenität auszeichnet: Innerer Monolog und erlebte Rede sind die bevorzugten Erzählweisen, dann und wann ein wenig Dialog – und doch: Ob Fuchs, ob Zwerg, ob Goyl, ob Mensch, bis auf den Frankokanadier, der auf Québecois flucht, sprechen alle dieselbe Sprache.

Das Kollabieren der Differenz, das Allzusammenklingen im einen Wort ist zweifellos eine Vorstellung romantischer Sprachmagie: Es ist eine erwünscht-bedrohliche Chiffre fürs Ende der Welt, fürs Verstummen des ewigen Dialogs – für den Tod der Erzählung. In ein Denken überführt, das sich nicht aus Jenseitshoffnungen speist, bedeutet das: Dieses Buch ist eine Leiche.

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