Cook Island News

■ Da bekam Reporter Ulli Kulke, bislang gewöhnt daran, sich im Alternativ-Blättchen taz um Authentizität und echte Betroffenheit in der Berichterstattung zu streiten, leuchtende Augen: Auf den fernen Cook-Inseln, verloren..

Da bekam Reporter

ULLI KULKE, bislang gewöhnt daran, sich im Alternativ -Blättchen taz um Authentizität und echte Betroffenheit in der Berichterstattung zu streiten, leuchtende Augen: Auf den fernen Cook-Inseln, verloren in den Weiten des Pazifik, gibt es eine Zeitung, wo all das, worum sich unsere Gazette so sehr bemüht, als selbstverständliche Frühstückslektüre präsentiert wird: Die 'Cook Island News‘, aktuell, wahrheitsgetreu und das kleinste Ereignis von allen Seiten beleuchtend.

ie gemeine Südsee-Insel ist in der Regel recht klein. Wie klein ein solches Eiland tatsächlich ist, ist jedoch nicht nur an schnöder Hektarzahl abzulesen. Nehmen wir zum Beispiel Rarotonga, das Mainland der Cook-Inseln: räumliche Größe 6.700 Hektar.

Wer jedoch wissen will, wie groß Rarotonga wirklich ist, der sollte allmorgendlich in die „Landeshauptstadt“ Avarua radeln und im Bounty Book Shop 40 Cent für eine Ausgabe der 'Cook Islands News‘ anlegen. Zwar, so könnte man vermuten, zeugt das tägliche Erscheinen einer Zeitung immerhin von einer gewissen Größe des Gebietes, denn beileibe nicht alle Staaten in der pazifischen Inselwelt verfügen über ein solches Medium. Wer nun aber die Seiten der liebenswürdigen Gazette durchblättert, der spürt, wie begrenzt der Raum Raratongas in Wirklichkeit ist. Denn der Unterschied zwischen dem, was in Raum und Zeitung passiert, ist denkbar gering: Alles, was dem frühstückenden Zeitgenossen aus den Lettern der 'Cook Island News‘ entgegenspringt, hat er - sofern er seinen Inseltag aufmerksam beobachtet hat - bereits selbst erlebt. Womit nicht angedeutet werden soll, daß die Cook Island News keine Existenzberechtigung mangels wirklicher News hätte. Im Gegenteil: Liefert sie doch treffliche Erklärungen für all das, was am Vortag noch offengeblieben war, löscht die Fragezeichen im täglichen Leben. 'Cook Island News‘ gleichsam im besten Sinne ein Synonym für die Berichterstattung für Betroffene.

Beispielsweise Donnerstag abend, den 4.1.1990 im Bungalow der Airport Lodge des Hotels „Are Renga“: Die Brat-Taro, die sich der bundesdeutsche Bratkartoffelfreund hier ersatzweise bereitet, sind noch längst nicht knusprig-bläulich (die Farbe tut dem Geschmack keinen Abbruch). Plötzlich Blackout

-Stromausfall. Macht nichts, der Gasherd brät weiter, und angenehmerweise ist unversehens auch dem einheimischen Nachbarn, der sich mit lautdröhnender Hip-Hop-Musik in die Discos der Metropolen des Nordens versetzen will (und damit dem Berliner das Hier und Jetzt in der Südsee versaut), der Saft abgedreht. Nun weiß ein weitgereister Mensch, daß Stromausfälle in derlei Ländern schon mal vorkommen, auch wenn kein Gewitter oder Zyclonen-Tief weit und breit angesagt ist. Deshalb war der Zwischenfall nach wenigen Minuten vergessen.

Nicht so für die 'Cook Island News‘ in ihrer Ausgabe zwei Tage später: Keineswegs in irgendeiner Kurzmeldung, nein; mit einer zweizeiligen Überschrift als Aufmacher auf Seite 1 wird dem Leser alles erklärt: Kokosnußpflücker legt Stromversorgung lahm. Der gute Maori-Mann, der nichtsahnend mit einem langen Stab der Palmenfrucht zu Leibe rücken wollte, war an das Stromkabel geraten und hatte den Cook -Insulanern, die eineinhalb Wochen zuvor von der Regierung Fernsehen zu Weihnachten geschenkt bekommen hatten, um Punkt 10 den TV-Film Gerechtigkeit für alle abgedreht.

Doch nicht nur das war zu erfahren, auch befragte die Gazette den „amtierenden Energieminister“ Marae Turaki. Für ihn war offenbar nicht - wie in anderen Ländern üblich - die Frage entscheidend, ob er die politische Verantwortung für den Stromausfall übernehmen solle. Er wird vielmehr als Fachmann mit dem menschlich-besorgten Hinweis zitiert: „Der Kokosnußpflücker hat Glück gehabt, daß er keinen Schlag abbekam.“ So ist das auf den Cook-Inseln.

in weiteres Beispiel: Fährt man mit dem Fahrrad nächtens ohne Licht (was auch bei Leihfahrrädern mangels Lampe üblich ist) die Dusty Road zum Trans-Rarotonga Track, kann man sich leicht blutige Knie holen. Im Januar noch waren zum Leidwesen (im wahrsten Sinne des Wortes) des Chronisten jede Menge Blechtonnen auf der Straße postiert, um die Autos vor zu großer Staubentwicklung abzuhalten. Der Chronist - die anheimelnden Südseechöre aus der Banana Court Bar noch im Ohr und laut pfeifend - wurde unversehens Opfer dieser Ungetüme. An zweien ging es noch glatt vorbei, wie er am nächsten Morgen beim Ortstermin bei Tageslicht ermittelte. An der dritten ging dann alles zu Boden: Radler, Rad, Fototasche und die Tonne selbst auch. Nicht aufgepaßt, denkt er sich. So wird hier eben für Tempo 30 gesorgt. Muß man sich eben anpassen.

Doch wieder war die vierte Gewalt in Gestalt der 'Cook Island News‘ einfühlsamer, als Touristen es gemeinhin erhoffen können: Schwarze Tonnen gefährlich lautete eine Schlagzeile auf Seite 4. Die Tonnen seien ein großes Risiko in der Nacht, einige Motoristen hätten sich beklagt über Beinah-Zusammenstöße. Inspektor Piho Rua wird dann auch mit der hoffnungsfrohen Erwartung zitiert, die schwarzen Tonnen würden demnächst durch weiße ersetzt. Was einem lichtlosen Radler freilich wenig nutzt.

Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Kaum eine Werbeanzeige in den 'Cook Island News‘, deren Wahrheitsgehalt man nicht selbst schon einmal überprüft hat: Sei es das Bar-B-Que im Metuas Restaurant oder der Scooter -Verleih.

Und nicht zuletzt: Was immer in der Kulturberichterstattung über die Vorkommnisse im Banana Court zu lesen war, man hatte es selbst erlebt. In diesem Bau mit Geschichte - zu Beginn des Jahrhunderts Hotel, dann Krankenhaus, schließlich Gerichtssaal und heute Lieblings-Südsee-Bar des Chronisten (oh Kunkel, hör auf zu schwärmen und schenk mir endlich ein Ticket auf die Insel!!! d. Red.) - darf man eben nichts verpassen, und sei es auch nur eine Minute zusammen mit dem Barkeeper Jim („Jim of the Banana Court“), der stets so hinter dem Tresen sitzt, daß wenig mehr als sein Kopf hervorlugt. Er wäre sicherlich auch einmal eine Schlagzeile wert. Etwa so: Jim-of-the-Banana-Court leiht einem Gast mit ärmellosem T-Shirt ein Hemd. Denn üblicherweise wird einem derart nachlässig Gekleideten der Zugang zur Banana Bar verweigert. Doch vielleicht ist es auch besser so, daß über ihn niemand etwas veröffentlicht (die taz macht natürlich mit diesen ihr zugespielten Informationen eine Ausnahme, d. Red.). Wer ihn und seine Bar nicht selbst besucht, soll auch nichts über ihn wissen, und über die Banana Court Bar schon gar nicht.