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Contra–Angriffe im Morgengrauen

■ Militärisch agieren die antisandinistischen Truppen wie eine klassische Guerilla - Sie schlagen zu und ziehen sich zurück / Ein schneller Sieg der Sandinisten über die von den USA unterstützten Truppen läßt sich nicht absehen.

Aus Juigalpa Ralf Leonhard

Ganze fünf Tage war der 19jährige Oscar Aragones Lezama aus Managua an der Front, als es ihn erwischte. Bei Las Pinuelas, 50 Kilometer vom Städtchen Santo Domingo im Departement Chontales entfernt, stieß seine Einheit auf einen Trupp Contras. Zwei junge Soldaten des Bataillons „Socrates Sandino“ starben im Gefecht, zwei weitere wurden verwundet. Oscar liegt jetzt im Spital der Provinzstadt Juigalpa, wo sein Knochendurchschuß im linken Bein behandelt wird. Der Bettnachbar ist noch weit schlimmer dran. Silvio Blandon aus Rama wundert sich, daß er überhaupt noch lebt. Er kam mit seinem Trupp gerade aus den Bergen und verbrachte die Nacht in der Genossenschaft Julio Buitrago. „Wir wurden gewarnt, daß die Gegend unsicher war und lagerten daher in den Schützengräben“, erinnert sich der zwanzigjährige Truppführer. Kurz vor Mitternacht zerriss ihm eine Handgranate den Unterleib. Als die Miliz der Kooperative herbeigeeilt kam, hatten sich die Konterrevolutionäre bereits zurückgezogen. Zwei Säle des Krankenhauses sind fast ausschließlich mit verwundeten Soldaten gefüllt. Dr. Javier Luna, Direktor des Krankenhauses, berichtet außerdem, daß täglich durchschnittlich zwei Zivilisten eingeliefert werden, die bei Contra–Attacken verletzt wurden. Die meisten können nach ambulanter Behandlung entlassen werden. Von 33 Angriffen der US–finanzierten Freischärler zwischen dem 5. März und dem 1. April berichtet ein Kommunique der sandinistischen Armee. Schauplatz des Kriegsgeschehens ist nicht nur das Berggebiet im Einzugsbereich der honduranischen Grenze, sondern auch der Süden und das zentrale Hügelland der Viehzuchtgebiete von Boaco und Chontales. „Die Söldner brauchen etwa zwei Monate von Honduras bis hierher“, erzählt der 19jährige Mario Tercero, der nach sechs Monaten in den Bergen drei Tage Ausgang bekommen hat und seine Familie in Juigalpa besucht. Die Kampfmoral der Truppen sei blendend, versichert der Wehrdienstleistende, denn die sandinistischen Truppen seien allgemein siegreich. Ein schneller Triumph über den in kleinen Gruppen operierenden Gegner läßt sich dennoch nicht absehen. Was die offiziellen Mitteilungen des Verteidigungsministeriums verschweigen, ist für die kampferprobten Jugendlichen kein militärisches Geheimnis: die Verluste in den eigenen Reihen. „Erst vorgestern sind sechs unserer Kameraden eingekreist worden und mußten sich ergeben“, berichtet Alexis Hurtado Tellez, dem noch acht Monate bis zur Rückkehr ins zivile Leben fehlen. Stattliche Rinderherden blokkieren immer wieder die Straße, die in Managua beginnt und fast 300 Kilometer weiter im Osten in El Rama endet. Die nahegelegene Atlantikküste kann von dort nur mehr auf dem Wasserweg über den Rio Escondido erreicht werden. Am Höhepunkt der Trockenzeit sind auch die ausgedehnten Weidegebiete von Chontales dürr und bei jedem Lufthauch in Staubwolken gehüllt. „Tagsüber besteht keine Gefahr“, versichert der Kommandant der kleinen Gruppe, die die Brücke über den Bach La Gorra bewacht, „der Feind attackiert nur in der Nacht und im Morgengrauen.“ Die Brücke an der De partementsgrenze zwischen Chontales und Zelaya Central ist seitwärts mit Stacheldraht abgesichert und auf beiden Seiten droht ein gelbes Warnschild: „Achtung Minen“. Alle Brücken von Santo Tomas (circa 30 Kilometer östlich von Juigalpa) ostwärts sind derart abgesichert. Dennoch sind sie beliebte Ziele. Vor einem Monat versuchte eine Gruppe Contras sich der Brücke von La Gorra zu bemächtigen. Nach einer wilden Schiesserei, bei der niemand verletzt wurde, zogen sie sich allerdings wieder zurück. So berichtet der Inhaber eines kleinen Krämerladens, der damals aus dem Schlaf gerissen wurde und sich daran erinnerte, wie sie im Vorjahr im Dorf einmarschierten. Vergangene Nacht sei es ihnen allerdings gelungen, einige Kilometer weiter ostwärts einen Starkstrommast in die Luft zu jagen. Allein in der V. Region (Boaco, Chontales, Zelaya Central) hat die Armee im Monat März 144 Contras getötet und elf gefangengenommen, meldete der zuständige Militärkommandant vergangene Woche. Die Zahlen stützen sich auf Schätzungen, denn die Contras lassen ihre Toten selten zu rück. Der Generalstab hat zwei seiner besten Bataillons, das „Socrates Sandino“ und das „Farabundo i“ in die V. Region verlegt. Verstärkt durch die in der DDR ausgebildeten Truppen des Innenministeriums und die lokalen Milizen versuchen die in Guerrillataktik geschulten Einheiten den Gegner in die Enge zu treiben. „Die meisten Contras sind einfache Campesinos“, weiß Alexis Hurtado, der die Bauern am Kampfstil erkennt, „die Campesinos greifen an und ziehen sich sofort zurück.“ Die „Guardias“ - ehemalige Mitglieder der Nationalgarde des 1979 gestürzten Diktators Somoza oder in den USA trainierte Leute - stellen sich zum Gefecht. Die weitaus meisten Aktionen erschöpfen sich jedoch in Angriffen auf wirtschaftliche Ziele und Sabotageakte. Vizeinnenminister Luis Carrion sieht eine klare Verbindung zwischen der verstärkten Kampftätigkeit in Nicaragua und den Erklärungen des US–amerikanischen Unterstaatssekretärs Elliott Abrams, der kürzlich „wichtige Erfolge“ seiner Schützlinge „im Laufe dieses Jahres“ voraussagte. „Wenn ich sage, daß sie ihre Präsenz im Lande unter Beweis stellen werden“, sagte Carrion in einer Pressekonferenz Anfang April, „so meine ich durch Sprengung von Strommasten, Sabotage an kommunalen Einrichtungen, Verteilung konterrevolutionärer Propaganda in den Städten“. In den Städten herrscht jedoch nach wie vor relative Normalität. Selbst Juigalpa, 140 Kilometer östlich von Managua und am Rande der Kriegszone, erweckt nicht den Eindruck einer gefährdeten Stadt. Wenn nicht jeden Tag die schweren Kampfhubschrauber von der Armeebasis an die Einsatzorte abflögen und häufig mit Toten oder Verwundeten zurückkehrten, so wäre der Krieg in Juigalpa kein Thema.

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