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Computerspiele zu WeihnachtenZocken im Namen des Herrn

Computerspiele werden zu Weihnachten am meisten gewünscht. Das sagen jedenfalls die fleißigen Helfer in Himmelspforten. Die Kirche ruft deshalb Eltern auf, endlich mal mitzuzocken.

Kids auf dem Festival für kreatives Computerspielen - hier wird das Ballerspiel einfach zum Ballett umfunktioniert. Bild: creative-gaming

BERLIN taz | "Spielen Sie selbst, und spielen Sie mit ihren Kindern oder Enkeln!" Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) appelliert zu Weihnachten an Eltern ud Großeltern, Computerspiele nicht zu verurteilen, sondern den Trend mitzumachen. Die Spiele selbst auszuprobieren. "Auch wenn Sie wahrscheinlich dauernd verlieren werden, es macht Spaß", versucht der EKD-Medienbeauftragte Markus Bräuer den Eltern die Angst vorm Daddeln zu nehmen.

Games unter dem Weihnachtsbaum seien längst kein Teufelszeug mehr, so Bräuer. Wer mitspiele, habe auch die Chance, über jeden Punkt den man problematisch finde, mit dem Nachwuchs zu diskutieren. "Beim Spielen können Sie Kriterien vermitteln, gerade wenn in den Spielen Menschen getötet werden, Gewalt nur aus der Sicht der Täter dargestellt oder ein Frauenbild vermittelt wird, das würdelos ist. Kinder brauchen Kriterien."

Dass der Trend bei den Weihnachtsgeschenken immer mehr zu den Computerspielen tendiert, kann auch Wolfgang Dipper vom Weihnachtsmannbüro im niedersächsischen Himmelspforten bestätigen. Dort sind in diesem Jahr 45.000 Briefe aus Deutschland und der ganzen Welt eingegangen. "Ganz oben auf der Wunschzettel-Liste der Kinder steht die Spielekonsole Wii. Dann folgen Laptops, Lego-Bausteine, Digitalkameras und Handys."

Die EKD steht mit ihrem Aufruf, sich Computerspielen gegenüber zu öffnen, nicht allein da. Gleich mehrere Projekte versuchen derzeit, Verständnis zwischen Kindern und Eltern im Spielebereich zu wecken. So läuft bei der Bundeszentrale für politische Bildung bereits seit mehreren Jahren das so genannte "Eltern-LAN"-Projekt, bei dem auf E-Sport-Turnieren, also professionellen Computerspiele-Meisterschaften der Szene, vorher oder nachher Erwachsene eingeladen werden, um sich selbst am Rechner zu üben.

"Wir möchten Eltern, Erwachsenen und pädagogischen Fachkräften die Möglichkeit geben, Computerspiele auszuprobieren, die Faszination zu verstehen", sagt Projektleiter Arne Busse. Schließlich verbrächten viele Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit damit. Ihr großes Ziel: Den Generationenkonflikt auflösen. Das ist nicht immer einfach, gerade nach Amokläufen wie in Erfurt und Winnenden. Viele Gemeinden hätten sich dann geweigert, E-Sport-Turniere zu veranstalten, so Busse.

Auf Lehrer und Schüler haben sich auch Medienpädagogen und Medienkünstler von Creative Gaming spezialisiert. Die von der Bundeszentrale für politische Bildung co-finanzierte und deutschlandweit agierende Initiative geht direkt in die Schulen und bietet Weiterbildungen für Lehrer und Projekttage für Schüler an. Dabei werden aus Computerspielen Filme gedreht, ein Ballerspiel zum Ballett umfunktioniert oder es gibt großes Kino mit den Sims-Darstellern. "Es ist uns wichtig, dass die Spiele nicht nur banal abgespielt werden, sondern man sich kreativ mit ihnen auseinandersetzt. Dass etwas Neues entwickelt wird", so die Sprecherin der Initiative, Tina Ziegler.

Richtige Konflikte entstehen beim Thema Computerspiele vor allem dann, wenn sich die Politik einmischt, meistens getrieben von einer medialen Öffentlichkeit, die nach Amokläufen besonders laut das Verbot von so genannten Killerspielen fordert. Die Innenminister der Bundesländer hatten deshalb im Juni gleich ein Herstellungs- und Verbreitungsverbot von Killerspielen verlangt. Die Begründung: Der Konsum von Egoshootern würde die "Hemmschwelle zur Gewalt" sinken lassen.

Doch ein simples Verbot von Killerspielen ist zu kurz gegriffen und wird Amokläufe nicht verhindern. Wichtiger ist eine Auseinandersetzung mit Spielen und Spielern. Die Gamer sind gegen ein Verbot, weil gerade auch das Verbotene besonders reizt. Eine Petition beim Deutschen Bundestag gegen den Beschluss der Innenminister unterschrieben schnell mehr als 50.000 Menschen.

Aber auch deutlich harmlosere Games wie "World of Warcraft" sind vor Angriffen nicht sicher. Christian Pfeiffer vom kriminologischen Institut Niedersachsen, der als einer der schärfsten Spielekritiker im Land gilt, sieht in dem Online-Rollenspiel, das kein Spielziel definiert und im Prinzip endlos läuft, eine hohe Suchtgefahr. Jugendfreigaben müssten bei solchen Titeln nur unter Vorbehalt vergeben werden, meint er, weil man ja nachträglich ermitteln könne, dass ein Spiel doch süchtig mache. Auch die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, sagt, dass sie es nicht verstehen könne, warum "World of Warcraft" zeitweilig schon "ab 12" freigegeben wurde.

In der Spieleindustrie, die sich verständlicherweise ein gutes Weihnachtsgeschäft erhofft, reagiert man auf solche Angriffe wenig erfreut, will aber deeskalieren. Beim Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) werden deshalb inzwischen Tipps gesammelt, welche Spiele sich für das gemeinsame Daddeln von Eltern und Kindern eignen. Kürzlich brachte der Verband auch den Eltern-Ratgeber "Spielen verbindet" auf den Markt, der einige Grundfragen beantwortet: "Woran erkenne ich, ob ein Spiel für mein Kind geeignet ist?" oder "Wo finde ich die Jugendschutzeinstellungen bei meinem PC oder meiner Konsole?" BIU-Geschäftsführer Olaf Wolters meint, Eltern und Erziehungsberechtigte, die selbst keine Games spielen, seien beim Kauf von Software häufig verunsichert. Diesen wolle man mit dem Ratgeber helfen.

Hilfe verspricht vielleicht auch schon der olympische Gedanke: "Dabei sein ist alles." Wie beim Surfen im Internet, erklären Pädagogen, sollten Eltern auch beim Computerspielen den Kids über die Schulter schauen, sich Spiele erklären lassen und einfach mal mitzocken. Man helfe seinem Nachwuchs einfach am besten, wenn man dabei ist. Wer stets mit seinen Kindern spielt, müsse auch nicht fürchten, dass Killerspiele auf der Konsole oder dem Computer laufen. Das koste allerdings Zeit.

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