Comic über Frankreichs Politik: Großes diplomatisches Theater
Ein Comic erzählt französische Zeitgeschichte: Christophe Blains und Abel Lanzacs „Quai d'Orsay. Hinter den Kulissen der Macht“ ist in Frankreich ein Bestseller.
In einem hohen Zimmer von spätbarocker Herrlichkeit sitzt ein Mann mit einer prominenten Nase in einem schwarzen Anzug an seinem Schreibtisch und liest in einem kleinen roten Buch. Der karikaturenhaft zugerichtete Lesende ist sehr groß, seine Beine passen kaum unter den verzierten, ausladenden Holztisch. Durch riesige Flügelfenster hinter ihm fällt Licht auf den glänzenden Boden.
Ein seltener Moment der Ruhe, den uns der foliantengroße Comic „Quai d’Orsay. Hinter den Kulissen der Macht“ auf seinem Titelbild gönnt. Schon kurze Zeit später werden wir den stets unter Spannung stehenden Mann namens Alexandre Taillard de Vorms in seinem üblichen Modus sehen: der ständigen Bewegung. Eine Dynamik, die sich auf den Comic über den französischen Außenminister Alexandre Taillard de Vorms von der ersten bis zur letzten Seite übertragen hat.
In hoher Geschwindigkeit erzählen Abel Lanzac (Szenario) und Christophe Blain (Szenario und Zeichnungen) auf die lehrreichste und amüsanteste Weise von französischen Diplomaten und der Diplomatie in schwierigen Zeiten. Schließlich gilt es einen Bürgerkrieg und ein Massaker in dem von vielen Franzosen bewohnten afrikanischen Land Oubanga zu verhindern und die USA von einem sogenannten Präventivschlag auf das Königreich Lousdem abzuhalten.
Alexandre Taillard de Vorms? Oubanga? Lousdem? Tatsächlich verbergen sich dahinter mühelos erkennbar Dominique (Marie François René Galouzeau) de Villepin, der Kongo und der Irak – auch der Name des Szeneristen Abel Lanzac ist ein Pseudonym. Der Autor hat als Berater unter de Villepin gearbeitet, dem offensichtlich etwas idiosynkratischen Außenminister der Jahre 2002 bis 2004.
Diplomaten mit Stock im Arsch
Alexandre Taillard de Vorms’ Wirken jedenfalls wird aus der Perspektive des jungen Doktoranden Arthur Flaminck geschildert, der vom Minister persönlich als Redenschreiber in seinen Beraterstab geholt wird. Die Erwartungen sind hoch: „Ich vertraue ihnen das Allerheiligste an. Die Sprache“, die Arbeitsanweisungen dagegen vage. „Fangen sie bloß nicht so an, wie diese ganzen Diplomaten mit ihrem Stock im Arsch, Arthur“, entgegnet der Minister auf Fragen Arthurs nach der konkreten Haltung Frankreichs in bestimmten Fragen.
Das Klein-Klein des politischen Alltags und die meisten seiner Amtskollegen sind dem latent autistischen Politiker zutiefst zuwider, seine politischen Leitlinien entwickelt er aus originellen Quellen, gern auch aus kleinen roten Büchern. „Mao. Zitate“ oder „Heraklit: Fragmente“ etwa geben die Stichworte, mit Hilfe eines Stabilo-Textmarkers werden sie zu den drei Prinzipien einer neuen Politik „stabilosiert“: „Verantwortlichkeit, Einheit, Effizienz“ heißen die, oder waren es „Legitimität, Klarheit, Effizienz“? Ist der schöngeistige Minister eher genial oder doch wahnsinnig?
Egal, es ist an Arthur und den anderen Beratern, aus wechselnden Schlagworten plausible Reden zu stricken. Erschwerend kommen Intrigen, Eitelkeiten und Schadenfreude unter den Kollegen dazu: wie Höflinge balgen sie um die größte Nähe zu ihrem Regenten. Obwohl Arthur, der zum Leidwesen seiner Freundin bald nur noch für den Beruf lebt, seine absurde Abhängigkeit von der Gunst seines Herren durchaus bewusst scheint, ist er voller Bewunderung für ihn. „Er spricht nie auf Augenhöhe mit den Menschen. Er muss sich stets über sie erheben.“
So unangreifbar über allem stehend fühlt sich de Vorms augenscheinlich, dass er sich in Oubanga den Weg mitten durch eine Demonstration aufgebrachter junger Männer bahnt. Sein diplomatisches Meisterwerk soll indes die Verhinderung des mit angeblichen Massenvernichtungswaffen begründeten Angriffskriegs der USA auf Lousdem im UN-Sicherheitsrat werden.
Wunderbare Lautmalerei
Christophe Blain hat die raumgreifende Präsenz des stets vorausseienden Ministers wunderbar (lautmalerisch) illustriert. Wann immer der Alexandre Taillard de Vorms auftaucht, folgen ihm die Speedlines; „TSCHACK“ macht es, wenn seine Hände die Luft beim Gestikulieren durchschneiden; „TACK, TACK, TACK“ ist der Rhythmus, den er beim Sprechen vorgibt.
Diese Energie des Ministers zu kanalisieren ist Aufgabe von Claude Maupas. Die Bürde ist dem Stabschef mit den hängenden Augenringen, der seine Hände stets defensiv in den Hosentaschen hält, auf den ersten Blick anzusehen. Und den schmierigen Silvio Berlusconi hat sicher noch niemand besser porträtiert als Blains minimalistischer Strich. Es ist angesichts dieses wunderbaren präzis-maliziösen Blicks auf das diplomatische Theater und seiner Darsteller nicht ganz klar, ob man eher Lachen oder Weinen sollte.
Zu Recht hat sich der Comic in Frankreich als Überraschungserfolg erwiesen und bisher über 300.000-mal verkauft. Bertrand Tavernier beginnt in diesem Monat mit seiner Verfilmung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen